Editorial: Darf ich das Leben genießen?

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Susanne Borée Editorial in der Frühlingshoffnung

Darf ich mich freuen, die Sonne und die aufbrechenden Knospen genießen? Und das in dieser Zeit, die weltweit immer noch von dem Wüten der Corona-Pandemie in Atem gehalten wird?


Trotz aller Vereinsamung und aller Ängste vor der Zukunft geht es uns hier in Deutschland wirklich noch gut. Ein Blick über den Tellerrand zeigt deutlich, wie Corona weltweit vorhandene Notlagen weiter verschärft.


In diesen Wochen jährt sich das Kriegsende, zuvor aber auch die Befreiung der letzten Konzentrationslager zum 75. Mal. Trotz des runden Datums wird es ein stilles Gedenken. Gerade beim Betrachten der alten Bilder und Filme kommt das Erschauern zurück. Was Menschen anderen Menschen antun konnten! Das ist noch gar nicht so lange her.


Es zeigt gerade, wie wichtig es ist, unsere innere Stabilität, die Höflichkeit und Rücksichtnahme zu bewahren. Natürlich gibt es noch immer die Vordrängler, die die größeren Lücken in den Schlangen umso besser dazu ausnutzen. Es gibt noch immer diejenigen, die ihre ausgelutschten Zigarettenkippen auf den Gehsteig spucken. Und die Zocker, die sich gerne mal an fallenden Börsenkursen oder ungerechtfertigt an staatlichen Hilfen bereichern.

Diese Zeit zeigt uns ebenfalls deutlicher den je: Wir haben es in der Hand, wie wir leben wollen. Ob wir gerne auf Kosten anderer existieren oder die Trostlosigkeit Macht über uns gewinnen lassen. Die Freude an den kleinen Dingen gehört gerade zum Leben dazu. Nein, mehr noch: Sie gibt uns Kraft auch für die dunklen Zeiten – inmitten aller Überforderung und Unsicherheiten.

Noch vor kurzem war das Leben ungleich zerbrechlicher als heute. Jede Geburt, jede Blinddarmentzündung konnte zum Tode führen. Von der Pestzeit und den Seuchen, denen die Menschen hilflos ausgeliefert waren, ganz zu schweigen. Trotzdem genossen sie das Leben.
Trotz aller Beschränkungen empfinde ich diese Wochen als gute Zeit. Alte Sorgen und Probleme verlieren ihre Bedeutung. Es gibt so viele Lösungen: Keine Kleister im Haus und Baumärkte zu – Mehl und Wasser aufkochen – fertig.

Es zeigt sich gerade jetzt, wie so viele kleine Dinge Freude bringen können: Ein Telefonat. Ein Lächeln über den Sicherheitsabstand hinweg. Freude ist nicht erst dann erlaubt, wenn alles wieder in Ordnung ist. Diese Zeit ist sonnendurchtränkt! Und sie steht in Gottes Hand.