Ein verletzter, doch liebender Gott

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zu den Folgen des Tanzes um das Goldene Kalb

Der Herr sprach aber zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt. Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben’s angebetet und ihm geopfert. Mose wollte den Herrn, seinen Gott, besänftigen und sprach: Ach, Herr, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? Kehre dich ab von deinem glühenden Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst. Gedenke wie du verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben.

Aus 2. Mose 32, 7–14

Dunkle Wolken ziehen auf. Blitze zucken, es donnert so laut, dass dir für einen Moment das Herz stehenbleibt. Und Du, auf weitem Feld. 

So steht Israel am Sinai. Die Bibel erzählt wie Mose, die Leitfigur, auf den Berg steigt, um mit Gott zu sprechen und der Sinai kleidet sich für diese Gottesbegegnung in Wolken und Gewitter. Der Gott Israels weiß, wie man eine Bühne betritt. 

Aber nun ist Mose weg, die Blitze zucken, der Donner rollt – und ein „Zuhause“ wie in Ägypten gibt es nicht mehr. Alles, was Israel an Sicherheit hat, seine alte „Heimat“, seine Leitfigur, sein Gott ist weg, oder gerade nicht auffindbar. 

Nicht weit weg davon stehen auch wir im Sturm vieler Krisen. Wolken des Kriegs sind aufgezogen, der Donner der Pandemie hallt noch nach, Blitze werfen ein helles Licht auf den Klimawandel und die verunsicherte Demokratie. Viele Seelen spüren diesen rauen Wind. 

Verunsicherte Hände greifen nach etwas handfestem. Für Israel war das ein „goldenes Kalb“, ein handfester Gott. Schwankende Seelen heute, halten sich an anderem fest, an der Idee eines deutschen „Volkskörpers“ oder Horoskopen, ein Halt in den Sternen. Selbst am eigenen Ich kann man sich festhalten: Der eigene Beruf, das Selbstbild „Ich gehöre zu den Guten“ oder bin meine Social Media Persona. 

Als Gott sieht wie schnell das Volk, das er gerade aus Ägypten geführt hat, sein Herz an andere Götter hängt, reagiert er wie ein verletzter Partner: Was habe ich alles für sie getan!? Und kaum schaue ich weg, gehen sie fremd. 

Was wir hier sehen, ist ein liebender Gott, kein lieber Gott. Liebende müssen das Herz für den anderen aufmachen, nur so kann aus Verliebtheit Liebe werden. Gottes offenes Herz ist verletzt, als er durch einen neuen, glänzenderen, jüngeren „Gott“ ersetzt wird. Ein Gott dem egal ist, wie Du zu ihm stehst, wäre ein gleichgültiger Gott. Eine Beziehung, in der einem der andere egal geworden ist, eine gleichgültige, eine tote Beziehung. Dieser Text sagt: Du bist Gott nicht egal! 

In dieser Beziehungskrise arbeitet Mose wie ein Paartherapeut, der fragt: Was haben Sie am Anfang aneinander geliebt? Er erinnert Gott an den Anfang der Beziehung. Und Gott erinnert sich an seine erste Liebe zu seinen Menschen. Seine Leidenschaft ist nicht weg. Er weiß wieder, was ihm diese Beziehung wert ist. Er bricht sie nicht ab. Wo hast Du schon mal Gottes Liebe erlebt? Kannst auch Du an dieser Liebe anknüpfen? Steve Kennedy Henkel 

Pfarrer in St. Lukas, München  und lange EKD-Jugendsynodaler