Stark sein – damit sind wir nicht allein

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zur Hoffnung auch im Tod

Denn wir wissen, dass der, der den Herrn Jesus auferweckt hat, wird uns auch auferwecken mit Jesus und wird uns vor sich stellen samt euch. (…) Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.

2. Korinther 4, 14.16

Es ist schon viele Jahre her, ich war damals vielleicht 18 oder 19 Jahre alt. Ich gehöre noch zu denen, die vor dem Theologiestudium ein Praxisjahr ableisten mussten, ähnlich wie ein Freiwilliges Soziales Jahr. Ohne dies hätte ich ihn auch nicht kennenlernen dürfen. Ich nenne ihn einfach jetzt „Herrn S“.

Herr S. war 87 Jahre alt und Patient in der Rehaklinik, in der ich gearbeitet habe. Nach seinem Beinbruch war er schon wieder relativ rüstig und mobil. Mit dem Rollator zog er jeden Abend nach dem Essen seine Kreise im Speisesaal. „Na, Sie trainieren ja fleißig!“, spreche ich ihn an. Er lächelte: „Ja, der Mensch muss sich fit halten – stark sein!“. Das war jeden Abend sein fester Spruch, den er voller Elan hinausposaunte.

Dann hatte ich zwei Wochen frei und als ich vom Urlaub wiederkam, erkannte ich ihn kaum mehr. Ihm ging es gar nicht gut. Der sonst so fröhliche Mensch hat sich total gewandelt – äußerlich, wie innerlich. Sein Zustand verschlechterte sich schnell von Tag zu Tag.

Er war nun tatsächlich ans Bett gefesselt, konnte weder selbstständig essen noch trinken. Und er musste regelmäßig gelagert werden. Es hat mich traurig gemacht, den körperlichen Verfall so wahrzunehmen.

Auch mit ihm hat es offenbar viel gemacht: Er motzte und schimpfte den ganzen Tag. Keiner hat ihm auch nur ansatzweise etwas rechtmachen können. Er erzählte, dass er Bodybuilder war. „Der Mensch muss sich eben fit halten – stark sein“. Das war so etwas wie sein Motto. Und jetzt war alles ganz anders. Für Kraft und Stärke hatte er ein Leben lang trainiert, wie damals im Speisesaal. Und nun? Schnellwachsender Tumor.

Er wurde in eine größere Klinik verlegt. Als man sein Bett aus dem Zimmer schob, verabschieden ich mich noch bei Ihm und sagte ganz naiv: „Also, Herr S., alles Gute, Sie schaffen das schon, ich denk an Sie – gell, stark sein!“ Mit dem Lächeln von damals im Gesicht sagte er: „Nicht ich – du! Du musst stark sein!“ Ich war irritiert. Sein Blick ging ans Kreuz an der Wand, das er vom Bett aus immer im Blick hatte. „Für mich ist jetzt ein anderer stark!“ Was für ungeheuer kraftvolle Worte. Kurz darauf stand eine Tod-esanzeige im Lokalteil unserer Tageszeitung: Rainer S. – Bodybuilder.

„Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert“.

Ich glaube fest, dass für ihn und auch für mich dieser Andere stark ist, wenn unsere Kraft nicht mehr ausreicht. Und in diesem Moment haben ich diese unglaubliche Kraft gespürt, die den inneren Menschen von Tag zu Tag erneuert.

Dass der Auferstandene auch in mir diese Kraft stark werden lässt, darum bete ich schon heute.

Amen.

Stefan Reinhold Fischer, Pfarrer in Hirschau