Zuversicht auch in „tiefer Not“

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Klug‘sches Gesangbuch mit dem Lutherlied „Ein feste Burg“. Foto: Thiede
Klug‘sches Gesangbuch mit dem Lutherlied „Ein feste Burg“. Foto: Thiede

Trostlied von der Jahreswende 1523/24 zeigt auch noch 500 Jahre später große Wirkung

Es stand ganz am Anfang der evangelischen Kirchenlieder: Martin Luther schrieb und komponierte das Lied „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“ bereits zur Jahreswende 1523/24. Damit war es das Werk einer Umbruchzeit und erschien in dem ersten Wittenberger Druck: 32 Chorgesänge stellte der Reformator 1524 in vierstimmiger Fassung vor. Dies Werk folgte bald auf die allererste Nürnberger Sammlung, dem „Achtliederdruck“ (vergleiche Sonntagsblatt-Ausgabe 18 zu Kantate 2023). Drei Viertel der Werke dort stammten von dem Reformator selbst. Von ihnen haben 20 den langen Weg bis ins aktuelle Evangelische Gesangbuch geschafft.

In den frühen Veröffentlichungen waren dem Lied „Aus tiefer Not“ unterschiedliche Melodien zugeordnet. Durchgesetzt hat sich die von Luther selbst geschaffene äußerst bildhafte Form. Gleich zu Beginn fällt sie von einem H in einer Quinte hinunter auf den tiefen Ton der Melodie, auf das tiefe E. Sie schwingt sich dann hoch hinauf zum D wie „Deus“ – so übliche Deutungen.

„Aus tiefer Not“ zeigt die ganze Unsicherheit der jungen evangelichen Gemeinden: Dies Lied ist eine Nachdichtung des Bußpsalms 130. Es entstand in der neuen Form der Strophenlieder. In einem Brief hat Luther es ausdrücklich als exemplarisches Psalmlied benannt. Wenig später begaben sich gerade die Reformierten in diese Tradition. 

Zunächst erfand der Reformator eine neue Liedgattung mit dem Ziel, dass „das Wort Gottes auch durch den Gesang unter den Leuten bleibe“. Dabei will er, wie er in seiner Vorrede der Ausgabe aus dem Jahr 1524 betont, „alle Künste und besonders die Musik gern im Dienst dessen sehen, der sie gegeben und geschaffen hat. Ich bitte deshalb, dass jeder rechtschaffene Christ sich das gefallen lassen und wenn ihm Gott mehr oder weniger von diesen Gaben verleiht, die Sache fördern helfen möge.“

Ausdrücklich legte Luther jedoch bereits 1524 in seiner Vorrede zu dem ersten Gesangbuch nahe, „von Herzen geistliche Lieder und Psalmen zu singen, damit dadurch Gottes Wort und die christliche Lehre auf vielfältige Weise verbreitet und praktiziert werden“.

Gesungene Rechtfertigung

Die Nachdichtung „Aus tiefer Not“ entstand wahrscheinlich vor dem bekanntesten Lutherlied „Ein feste Burg“, das auf das Jahr 1529 datiert wird. Luther dichtet diesmal den 46. Psalm nach. Das Lied findet sich zuerst in dem Klug’schen Gesangbuch von 1533 (Foto). Doch ist zu vermuten, dass es vielleicht bereits in der verlorengegangenen Erstausgabe dieses Gesangbuchs von 1529 abgedruckt war. 

Bei seiner Umdichtung des Liedes „Aus tiefer Not“ hat der Reformator auch textlich eigene Akzente gesetzt: Das biblische Bußgebet mit seinem Appell an die unverdienbare Vergebung Gottes wird von ihm im Sinn seiner Rechtfertigungslehre vertieft. Auf die Frage „Wer kann, Herr, vor dir bleiben?“ – trotz aller Sünde und Unrecht – folgt die Antwort in Vers 2: „Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, / die Sünde zu vergeben; / es ist doch unser Tun umsonst / auch in dem besten Leben. / Vor dir niemand sich rühmen kann, / des muss dich fürchten jedermann / und deiner Gnade leben“. Diese Zeilen fehlen im katholischen Gotteslob, in dem es auch erschien.

In dieser Strophe und dem folgenden 3. Vers hat Martin Luther seine alles entscheidende Erkenntnis ausgedrückt, dass wir allein aus Gnade und aufgrund seiner Güte vor Gott bestehen können. Seine Rechtfertigungslehre setzt bekanntlich nicht auf menschlichen Verdienst, sondern allein auf Gottes Gnade als Hoffnungsgrund. 

Im Verlauf des Liedes kommen die Gläubigen in der 4. Strophe zu neuer Zuversicht: „Doch soll mein Herz an Gottes Macht / verzweifeln nicht noch sorgen“. Sie sind durch den Glauben zum Gottes Volk geworden. Zunächst war es ein Begräbnislied. Später sang die Gemeinde es bei der allgemeinen Beichte und am Buß- und Bettag.

Zuversicht in dunkler Zeit

Auch in den aktuellen unsicheren und dunklen Zeiten führt uns dieses Lied durch die Ungewissheit gerade an der Schwelle eines neuen Jahres. Trotz aller Not sind die Gläubigen in den Glauben an Gott „Von guten Mächten treu und still umgeben, / behütet und getröstet wunderbar“. So brachte diese Zuversicht dann Dietrich Bonhoeffer an der Jahreswende 1944/45 im Gefängnis in eine Form, die uns sprachlich vielleicht näher scheint.

Immer wieder bereiten uns Liederdichter im Gesangbuch den Weg zu großer Zuversicht in den größten Nöten. Da sei auch genannt „O Tod, wo ist dein Stachel nun“ (nach 1. Kor 15, 55), entstanden wohl kurz vor dem eigenen Ableben des Königsberger Pfarrer und Dichters Georg Weissel (1590–1635). „Es war getötet Jesus Christ, / und sieh, er lebet wieder. / Weil nun das Haupt erstanden ist, / stehn wir auch auf, die Glieder. / So jemand Christi Worten glaubt, / im Tod und Grabe der nicht bleibt; / er lebt, ob er gleich stirbet“, so heißt es an zentraler Stelle in der 6. Strophe nach Joh 11, 26 zur Auferweckung des Lazarus.

Weissel verfasste auch die bekannteren Liedtexte „Such, wer da will, ein ander Ziel“ wohl kurz nach dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 1618. Und das Adventslied „Mach hoch die Tür“, das aus seiner Feder vor 400 Jahren, im Dezember 1623 entstand.

Unterwegs zur Neuauflage

So sind viele Gesangbuchlieder ein Spiegel ihrer Zeit – und scheinen gleichzeitig durch alle Generationen hindurch. Sind wir nun, 500 Jahre nach den ersten Lieddichtungen, erneut in einer Umbruchszeit? Wie in Sonntagsblatt-Ausgaben des vergangenen Jahres vorgestellt, gibt es nun rege Diskussionen über eine Neuauflage des Gesangbuches. 

Diesmal ist es ein Werk mit möglichst breiter Beteiligung. Die zuständigen Arbeitsgruppen sind auf diesem Weg Ende 2023 wieder weitere Schritte vorangekommen. Auch 2024 soll es da weitergehen – hin zu ersten Ergebnissen.

Aus Anlass des Gedenkens an das Erscheinen der ersten Gesangbücher vor 500 Jahren hat die Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Bayern eine besondere Idee: Sie schreibt einen Liedwettbewerb aus. Gesucht werden Lieder zu vielen Themen die sich für den Gemeindegesang eignen. Dabei sind alle Musikstile willkommen. Der Einsendeschluss ist am 31. Januar 2024. Mehr unter https://www.mach-kirchenmusik.de/liedwettbewerb. Susanne Borée

Johannes Schilling und Brinja Bauer: Singt dem Herrn ein neues Lied: 500 Jahre Evangelisches Gesangbuch, Evangelische Verlagsanstalt 2023, ISBN 978-3-374-07415-0, 25 Euro.