Keine Einbahnstraße des jüdischen Lebens

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Die Gruppe aus Rothenburg und umliegenden den Orten rund um Pfarrer Oliver Gußmann zu Besuch im Fränkischen Museum Feuchtwangen im vergangenen Oktober. In der Mitte Museumsleiterin Uta Karrer (gestreifter Pullover). Foto: Borée
Die Gruppe aus Rothenburg und umliegenden den Orten rund um Pfarrer Oliver Gußmann zu Besuch im Fränkischen Museum Feuchtwangen im vergangenen Oktober. In der Mitte Museumsleiterin Uta Karrer (gestreifter Pullover). Foto: Borée

Spurensuche zur Entwicklung des Judentums in Mittelfranken auch in Feuchtwangen

Lion Feuchtwanger trug wohl seine fränkische Herkunft im Namen. Der bekannte Schriftsteller erblickte zwar 1884 in München das Licht der Welt und verstarb 1958 in den USA – doch seine Familie stammte wahrscheinlich ursprünglich aus Feuchtwangen. Ein Hinweisschild in der heutigen Herrengasse, in der vormals viele jüdische Familien lebten, weist dort auf ihn hin. Ein Zufall, dass es gerade eine Einbahnstraße ist? Doch das jüdische Leben vor Ort weist vielfältige Wege auf.

Im Herbst 2023 begab sich im Rahmen der jüdischen Kulturwoche „LeChajim“ eine Gruppe an Rothenburgern auf Spurensuche zum jüdischen Leben in der Nachbarstadt (vgl. Sonntagsblatt-Ausgabe 44, Seite 23). Weitere Interessierte stießen hinzu. Schließlich findet sich die wohl früheste urkundliche Erwähnung eines Feuchtwanger Juden im Achtbuch des Landgerichts Rothenburg: Am 10. August 1274 erhob „Michahel Judeus de Fuhtewanch“ Klage, weil er gewaltsam um Besitz gebracht worden war. 

Uta Karrer, Leiterin des Fränkisches Museums in der Altstadt Feuchtwangen, führte die Gäste durch ihr Haus. Schließlich befand sich die ehemalige Synagoge dort. Mehrere Räume der Dauerausstellung zeigen intensiv das Leben der Juden im Wandel der Zeiten.

Bereits Ende des 13. Jahrhunderts litten auch die Juden in Feuchtwangen unter Verfolgungen. Die Ansbacher Markgrafen übernahmen die Herrschaft in der ehemals freien Reichsstadt. Erste Juden konnten wieder seit 1414 dort wohnen. Immer wieder gab es Ausweisungen. Wenn sie bleiben wollten, mussten sie hohe Steuern zahlen. Nach einer erneuten Vertreibung kam am 6. März 1599 als erste die Familie des Juden Esaias mit ihrem Gesinde nach Feuchtwangen. Seitdem sollte eine jüdische Gemeinde kontinuierlich 340 Jahre bestehen bleiben. Die erste Synagoge entstand 1630. Doch der Schopflocher Friedhof war auch für die Feuchtwanger Juden der zentrale Beerdigungsort. 

Trotz vieler Anfeindungen und Einschränkungen wuchs die Gemeinde weiter. 1833 bauten sie eine neue Synagoge im neomaurischen Stil. Bei der Einweihung soll die gesamte Stadt mitgefeiert haben. Bis 1837 gehörten 170 Menschen zur Gemeinde – etwa acht Prozent der Feuchtwanger Bevölkerung. Damit erreichte sie einen Höhepunkt der Entwicklung, erklärte Uta Karrer ihren Besuchern. Die Synagoge und viele jüdische Häuser standen an der heutigen Herren- und Museumsstraße – im Ort auch „Judengasse“ genannt – wie auch die Vorfahren Lion Feuchtwangers.

Vor allem von wohlhabenderen jüdischen Familien wird ein besonderes soziales Verhalten berichtet. Christliche Kinder konnten sich ein großzügiges Taschengeld verdienen, indem sie am Schabbat in jüdischen Häusern Licht machten oder kleinere Besorgungen übernahmen. Seit der Gleichstellung 1861 arbeiteten Juden auch als Handwerker.

Dennoch verließen im 19. Jahrhundert auch in Feuchtwangen mehr und mehr junge jüdische Menschen ihre Heimat, um in Übersee oder wenigstens in den heimischen Industriezentren ihr Glück zu suchen. Max Oppenheimer (1885–1915) fiel als jüdischer Freiwilliger im 1. Weltkrieg. 

Einige Gemeindeglieder aber schufen sich eine erfolgreiche Existenz vor Ort: Abraham Gutmann etwa übernahm 1896 ein Bekleidungsgeschäft an der heutigen Hindenburgstraße. Sein Sohn Kurt (1910–1964) musste 1934 Feuchtwangen Richtung USA verlassen. Die Politologie-Dozentin Amy Gutmann (*1949) ist seine Tochter. Seit 2022 ist sie US-Botschafterin in Deutschland. Sie kam zur Verlegung von Stolpersteinen vor Ort. 

Dennoch wurde 1926 die Feuchtwanger Ortsgruppe der SA gegründet. Einige Männer der jüdischen Gemeinde traten dem „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ bei, der der SPD nahestand und für die Weimarer Republik eintrat. Auch Gabriel Gutmann stemmte sich gegen die Judenfeindschaft. Seine Eingaben ignorierte der Stadtrat schon da. Bereits im Juli 1932 wählten 76 Prozent der Feuchtwanger die NSDAP.

Und am 20. August 1935 ließ der Stadtrat an den Ortseingängen Tafeln mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht“ aufstellen. Jüdischen Viehhändlern wurde der Zugang zum Markt verwehrt. 

Am Abend des 20. Dezember 1937 versammelten sich rund 400 Feuchtwanger Bürger auf dem Marktplatz, so Uta Karrer. Sie belagerten jüdische Häuser – bis die Polizei kam. Allerdings nahm sie die jüdischen Männer in „Schutzhaft“. Sie kamen erst frei, als sie den Wegzug versprachen. Anfang März 1938 hatten alle die Stadt verlassen – auch Gabriel Gutmann. Vor der Deportation nahm er sich in Frankfurt das Leben. 31 Juden aus Feuchtwangen sind nachweislich ums Leben gekommen. Die Synagoge wurde im Novemberpogrom niedergebrannt, da zuvor ein Verkauf weit unter Wert verweigert worden war. Nebenan bestand seit 1926 das Fränkische Museum, das nun zu einem Anbau auf dem Gelände kam. 

Seit den 1980-er Jahren setzt sich das Fränkische Museum Feuchtwangen intensiv mit der Vergangenheit auseinander. Das Museum zeigte 2021/22 im Festjahr „1.700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ die Sonderausstellung zum Judentum vor Ort. Uta Karrer würde auch gerne die alte Mikwe auf dem Gelände wieder beleben, die aus den 1840er-Jahren stammt. Doch befindet sie sich seit 1965 unter der Hammerschmiede, die im Hof ausgestellt ist. Dennoch soll die Erforschung jüdischen Lebens keine Einbahnstraße mehr sein. Uta Karrer kümmert sich gerade mit einer 11. Klasse um eine neue Sonderausstellung über das Judentum, die im Mai eröffnet werden soll.

Mehr: https://hdbg.eu/juedisches_leben/gemeinde/feuchtwangen/266 und https://fraenkisches-museum.de