Verantwortung verwässert

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Raimund Kirch, Mitglied im Herausgeberbeirat des Evangelischen Sonntagsblattes aus Bayern. Hintergrundbild: Kraus
Raimund Kirch, Mitglied im Herausgeberbeirat des Evangelischen Sonntagsblattes aus Bayern. Hintergrundbild: Kraus

Editorial von Raimund Kirch zur Debatte um die Sexualisierte Gewalt in Kirchengemeinden

Die bayerische Landessynode, die in der vergangenen Woche in Coburg tagte, hat meinen Wortschatz bereichert. Seitdem geht mir nämlich der Begriff „Verantwortungsdiffusion“ nicht mehr aus dem Sinn. Ich glaube, dass damit ein Nerv getroffen ist, der über die kirchlichen Strukturen hinaus auch in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft für Schmerzen sorgt.

Synodalpräsidentin Annekatrin Preidel hat im Zusammenhang mit der Diskussion um die im Januar veröffentlichte Forum-Studie ebenfalls von Verantwortungsdiffusion gesprochen. Diese Studie berichtete von mehr als 2200 belegten sexuellen Übergriffen seit den 1950er-Jahren in der evangelischen Kirche Deutschlands. Die bislang nachgewiesenen Fälle seien aber vermutlich nur die „Spitze des Eisbergs“, hieß es, da für diese bundesweite Studie bei weitem nicht alle angefragten Kirchenverwaltungen Daten geliefert hätten.

Auch von diversen Einrichtungen in der bayerischen Landeskirche wurden Entgleisungen, aus welchen Gründen auch immer, vertuscht. Was ich ein Stück weit sogar nachvollziehen kann. Schließlich sind die Themen Sexualität und sexuelle Gewalt in hohem Maß mit Scham besetzt. So wird zwar getuschelt, aber oft verdrängt und lieber nicht genau hingesehen. 

Vorgesetzte regierten mitunter zu gutgläubig, im schlimmsten Fall wurstig. Motto: Ein Sünder soll, wenn er aufrichtig Reue zeigt, seine Chance bekommen. Bei Triebtätern, das weiß man inzwischen, ist das allerdings fatal.

Annekatrin Preidel machte deshalb deutlich, dass „an den kirchlichen Strukturen der Verantwortlichkeiten“ gearbeitet werden müsse. Nach Darstellung der Forum-Studie wurden Fälle, die von Betroffenen oder Dritten gemeldet wurden, zwar an einen Verantwortlichen herangetragen, aber offenbar von einem zum nächsten Verantwortungsträger weitergereicht, so dass eine Auseinandersetzung mit den meisten Fällen am Ende gar nicht stattfand.

Das eben nennt die Forums-Studie dann „Verantwortungsdiffusion“. Womit wohl gemeint ist, dass die Übernahme von Verantwortung gewissermaßen in kirchlichen Strukturen versickert.

Den Beschlüssen der Coburger Synode entnehme ich jedoch, dass man jetzt klare Kante zeigen will. Denn wenn einmal ein Problem erkannt ist, wäre Gewährenlassen die schlimmste Form der Problemlösung.