Hell erstrahlendes Wort in der Dunkelheit

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Schilffahnen im Vorfrühling. Foto: Kraus
Schilffahnen im Vorfrühling. Foto: Kraus

Gottesknechtlieder als Grundlage für Jochen Kleppers „Er weckt mich alle Morgen“

„Ich schrieb heute ein Morgenlied über Jesaja 50, 4–8, die Worte, die mir den ganzen Tag nicht aus dem Ohr gegangen waren.“ Diese Worte notierte Jochen Klepper, einer der berühmtesten Gesangbuchdichter des 20. Jahrhunderts, am 12. April 1938. Während sein Adventslied „Die Nacht ist vorgedrungen“ wohl in aller Munde und Ohren ist, sind die sonnendurchfluteten Verse zu „Er weckt mich alle Morgen“ (EG 452) eher ein verborgener Schatz: „Er weckt mir selbst das Ohr. / Gott hält sich nicht verborgen, / führt mir den Tag empor“, so geht es weiter.

„Weicher, glänzender Tag. Meine kleinen Osterbesorgungen für Mutter, Frau und Töchter. In unserem alten Garten in der Seestraße blühen die alten Kirschbäume so schön“, schrieb Jochen Klepper ferner zur Entstehung dieses Morgenliedes in dem Tagebuch. Noch war er mitten in der Karwoche – Ostersonntag stand in diesem Jahr erst am 17. April 1938 im Kalender.

Und trotz des Sonnenscheins damals sind es Verse eines Leidenden, mit denen Jochen Klepper da rang. „Morgen für Morgen weckt er mir das Ohr, um zu hören, wie die Schüler“, so spricht der Gottesknecht im Deuterojesaja (50, 4), in dem zweiten Teil des Jesjabuches, in seinem dritten Lied (vgl. Sonntagsblatt 15). 

In diesen Jesaja-Versen nehmen die Übergriffe und Auseinandersetzungen gegenüber dem Gottesknecht offenbar schnell zu, doch dieser weicht nicht vor dem Auftrag des Herrn und schlägt auch nicht zurück (Jesaja 50, 4–9): Er ist so gerade nicht „widerspenstig“ gegenüber seinem Auftrag. Trotz aller Misshandlungen wird ihm der Herr selbst zu seinem Recht verhelfen. Er kann die Erschöpften erreichen und seine Gegner überwinden.

Entwicklung der Liedteile

Aus vier Teilen bestehen die Gottesknechtslieder in diesen Jesaja-Kapiteln. Doch bilden sie eine zusammenhängende Sequenz, auch wenn sie in der Endredaktion durch Einschübe weiter voneinander entfernt liegen und in das historische Heilshandeln des Herrn mit Hilfe des Perserkönigs Kyros an seinem Volk eingewoben sind: Zunächst wird ihm in Jesaja 42, 1–4 seine Aufgabe übertragen: Er soll das „geknickte Rohr“ und den „glimmenden Docht“ unterstützen und erhalten. 

Denn der Schöpfer des Himmels und der Erden setzt selbst das Recht und spannt die Gerechtigkeit aus.  Auch Klepper setzt in der 2. Strophe enge Bezüge zur Schöpfung zu Beginn der Zeiten: „Er spricht wie an dem Tage, / da er die Welt erschuf. / Da schweigen Angst und Klage; / nichts gilt mehr als sein Ruf!“ 

Dennoch hat bei Jesaja der Knecht in seinem zweiten Lied mit zunehmenden Schwierigkeiten weiter zu kämpfen, obwohl er sich in dem zweiten Gottesknechtslied (49, 1–6) mit seinem Auftrag selbst fernen Völkern vorstellt. Durchbricht Gott wirklich den Kreislauf immergleicher Schwierigkeiten und kreisender Gedanken, um seiner Heilsgeschichte Raum zu geben? Schließlich spitzen sich im dritten Gottesknechtslied die Anfeindungen noch gewalttätiger zu. 

Diesen drei ziemlich kurzen Texten ist die Zuversicht des Sprechers auf letztendliche Bewahrung trotz des Misserfolgs (Jesaja 49, 4b) und der Verfolgung (Jesaja 50, 7–9) gemeinsam. Auch für Klepper, der sich den Anfeindungen der Nazizeit gegegenüber sah bleiben die Zusagen des Herrn für ihn im zweiten Teil der 2. Strophe bestehen: „Das Wort der ewigen Treue, / die Gott uns Menschen schwört, / erfahre ich aufs neue / so wie ein Jünger hört.“ 

Gerade inmitten der größten Probleme will Gottes Verheißung gelingen. So dichtet Kleppers weiter: „ Er will, daß ich mich füge. / Ich gehe nicht zurück. / Hab’ nur in ihm Genüge, / in seinem Wort mein Glück. / Ich werde nicht zuschanden, / wenn ich nur ihn vernehm.“

Doch der „Knecht“ scheitert nun offenbar gänzlich: Der letzte Liedteil, einer der bekanntesten Prophetenstellen (Jesaja 52, 13–53, 12), beschreibt drastisch sein elendes Geschick bis zum Tod. Hier kann er nicht mehr selbst davon berichten. 

Auf den ersten Blick war das Schicksal des „Gottesknechts“ zum Ende gekommen. Nun übernehmen andere Sprecher, ein kollektives „Wir“, die dies Schicksal nun zunächst für die göttliche Strafe seiner Schuld hielten. Aber eine Offenbarung hat ihnen gezeigt, dass der Knecht stellvertretend für die Sünden des Volks gelitten hat. 

Wer sind die Liedersänger?

Der Gottesknecht aus dem Zweiten Jesajateil war durchaus eine schillernde Gestalt: Christen haben ihn spätestens seit den Tagen des Johannesevangeliums (12, 38) als Vorausdeutung auf Jesus und seine Passion empfunden. Denn seine Aufgabe erscheint übermenschlich. Kann da gerade im vierten Liedteil noch von einer realen Person die Rede sein – oder nicht eher von einer zukünftigen messianischen Gestalt? Diese Bezeichnung des „Gottesknechtes“ findet sich im Hebräischen Testament für bedeutende Persönlichkeiten wie die Erzväter, bedeutende Könige wie David und Hiskia, aber auch Moses oder Hiob bezeichnet. 

Auch das Volk Israel als Kollektiv oder seine „bessere“ Hälfte im Sinne des Propheten könnte damit gemeint sein. Oder sieht der Prophet  sich selbst in dieser Rolle? Kyros wohl eher nicht – ein solcher Eindruck entsteht durch eine spätere redaktionelle Anordnung des so genannten „Orakels“ an den Perser. 

Oder ist es Serubbabel, ein Nachfahre Davids, der offenbar eine Heimkehrergruppe leitete und die judäischen Verhältnisse in persischem Auftrag ordnen sollte? Ihn hat auch Prophet Haggai als „Messias” bezeichnet; die Texte müsste man dafür nach 515 vor Christus datieren, was wohl schwierig wird. 

Anklänge zu diesen Texten finden sich an Jeremias Berufung zu Beginn des Exils um 587 vor Christus: Auch der ältere Jeremias ist „zum Propheten über die Völker“ bestimmt, Jahwe setzt ihn „über Völker und Königreiche“, hat ihn „im Mutterleib gebildet“ (Jer 1, 5.10/ Jesaja 49). 

Das Volk ist noch nicht für die Botschaft bereit. Der Knecht müht sich vergeblich. Sein Misserfolg entlässt ihn nicht aus seinem Auftrag. Er selbst setzt dagegen die unbedingte Zuversicht auf Jahwe, der ihn rechtfertigt und seine Botschaft bestätigt.

Das übersetzt Jochen Klepper in seine Welt mit diesen Worten: „4. Er ist mir täglich nahe / und spricht mich selbst gerecht. / Was ich von ihm empfange, / gibt sonst kein Herr dem Knecht. / Wie wohl hat’s hier der Sklave – / der Herr hält sich bereit, / daß er ihn aus dem Schlafe / zu seinem Dienst geleit’!“ Schließlich soll die Rettung nicht nur gegenüber seinem Knecht oder Jünger, sondern weltweit wirksam werden und alles fundamental verändern: Er „will vollen Lohn mir zahlen, / fragt nicht, ob ich versag’. / Sein Wort will helle strahlen, / wie dunkel auch der Tag!“

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