Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern über den 1. Johannes-Brief
Liebe Kinder, ich schreibe euch, dass euch die Sünden vergeben sind um seines Namens willen. Ich schreibe euch Vätern; denn ihr habt den erkannt, der von Anfang an ist. Ich schreibe euch jungen Männern; denn ihr habt den Bösen überwunden. Ich habe euch Kindern geschrieben; denn ihr habt den Vater erkannt. Ich habe euch Vätern geschrieben; denn ihr habt den erkannt, der von Anfang an ist. Ich habe euch jungen Männern geschrieben; denn ihr seid stark, und das Wort Gottes bleibt in euch, und ihr habt den Bösen überwunden.
1. Johannes 2, 12–14
Unser Religionslehrer heißt Falkenberg. Er ist klein und dick und hat eine goldene Brille auf. […] Er faltet immer die Hände und ist recht sanft und sagt zu uns: ‚ihr Kindlein‘. Deswegen haben wir ihn den Kindlein geheißen.“ So schreibt Ludwig Thoma in der Erzählung „Der Kindlein“ in den Lausbubengeschichten, verfilmt wurde „der Kindlein“ ja auch.
Mit „ihr Kindlein“ lässt sich wohl kaum jemand gerne anreden. Egal, ob die Anrede im Blick auf das Alter erfolgt, von den Eltern kommt oder im geistlichen Sinne verwendet wird – es wird „ihr Kindlein“ in diesem Sinne wohl eher mit Unmündigkeit, Abhängigkeit, Hilflosigkeit verbunden. Wer andere „verkindlicht“, macht sie klein.
Auch der Apostel beginnt diesen Absatz mit „Liebe Kinder“ und dann geht es gleich auch noch um Sünde. Nun gut, Kinder können nach biblischem Menschenbild nicht sündigen. Wenn jemand also ein Kind ist, muss jemand anderes Verantwortung für Untaten übernehmen, in diesem Falle Gott, der sich als Vater erkennen läßt und in der Taufe Menschen als Kinder annimmt. Die Sünden fallen auf Jesus und werden damit hinfällig.
Es ist im Glauben eben gerade anders als sonst üblich: Wo Kind-Sein meist Entmündigung bedeutet, bedeutet sie hier Freiheit. Gott schafft gerade als der Vater, wie Jesus ihn uns nahebringt, die Möglichkeit einer echten Beziehung.
Schon als der Brief geschrieben wurde, war das sicherlich provokant. Väter sucht man sich genauso wenig aus wie Kinder oder Geschwister. Man muß mit ihnen leben. Für diesen Vater aber kann ich mich entscheiden und dieser Vater hat sich schon für mich entschieden. Mit ihm dürfen wir neu leben.
Der „Kindlein“ ist gerade deswegen so unangenehm, weil er ein zentrales Element des Evangeliums verkürzt und verdreht. Denn gemeinsame Kindschaft bedeutet, dass Machtgefälle, wie z.B. damals zwischen Vätern und Söhnen üblich, wegfallen. Als Glaubende sind wir nicht mehr nur Väter oder Mütter oder junge Frauen und Männer. Zuerst und vor allem sind wir Kinder Gottes und untereinander Geschwister.
Die eigenen Kinder und Eltern als Geschwister des himmlischen Vaters zu begreifen, das ist eine wirkliche Aufgabe mit Verheißung. Eltern können Lebenserfahrung und junge Leute ihre Energie in neuer Weise einbringen. Das „Böse“ bleibt die Versuchung, Beziehungen als Machtfragen zu betrachten.
Das Ziel des Handelns unseres gemeinsamen Vaters ist aber eine andere Welt. Und wir dürfen schon in den ersten und engsten Beziehungen, in die wir gestellt sind, im Glauben Teil daran haben.
Dekan Peter Bauer, Wunsiedel