Geduld!

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern über das Beharrungsvermögen

Werft also eure Zuversicht nicht weg. Sie wird reich belohnt werden. Was ihr jetzt braucht ist Geduld. Tut, was Gott will – dann werdet ihr erhalten, was er versprochen hat. Wir gehören aber nicht zu denen, die zurückschrecken und damit in ihr Verderben rennen. Sondern wir gehören zu denen, die glauben und dadurch das ewige Leben gewinnen.

Hebräer 10, 35–36.39 (aus Basisbibel)

Nein, denke ich mir – diesmal lehne ich es ab eine Andacht für das Sonntagsblatt zu schreiben. Normalerweise beschäftige ich mich gerne mit einem Bibeltext, lese noch einmal nach in welcher Situation  der Text entstanden ist und was mich mit ihm verbindet. Ich möchte ablehnen, weil  mir beim Lesen der Verse sofort ein Wort ins Auge springt: Geduld! 

Ich soll über Geduld schreiben? Das können sicher Andere besser! Denn bei Problemen versuche ich eine zielorientierte, konstruktive und zeitnahe Lösung zu finden. In Konferenzen oder Sitzungen werde ich unruhig, wenn es Menschen gibt, die alle Argumente noch einmal wiederholen. Ist nicht alles schon gesagt? Doch, aber noch nicht von jedem … Ja, ich finde, es ist doch auch gut, wenn es Ungeduldige gibt, damit was voran geht. Nicht zaudern – anpacken! Das ist die eine Seite.

Auf der anderen Seite kenne ich auch große Herausforderungen in meinem Leben, bei denen meine Ungeduld nicht weiterhilft. Die Trauer um einen geliebten Menschen wird mit Ungeduld nicht schneller vergehen. Ich muss mir und meinen Gefühlen Zeit geben. Diese Art seelischer Heilung geht nicht im Hauruck-Verfahren. Auch unser Körper verlangt mitunter besonders nach geduldigem, liebevollem Umgang. Nach überstandener Krankheit braucht es Geduld für die Genesung. Geduldiges Reden und Handeln ist erst recht bei der Erziehung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen gefragt. 

An der alten Weisheit „Der Grashalm wächst nicht schneller, wenn ich daran ziehe“ ist doch viel dran.

Die Geduld von der im Hebräerbrief die Rede ist, hat aber eine andere Dimension. Viel ist nicht bekannt über den Verfasser – dafür wird sehr deutlich in welcher Situation sich die Gemeinde befunden hat an die sich die Zeilen richten. 

Zweifel werden unter den Gläubigen laut, ob denn der Gültigkeit der Verheißungen Gottes noch vertraut werden kann. So lange schon warten sie auf Gottes Reich. Der Brief will ermutigen, das Vertrauen in Gott nicht wegzuwerfen. Geduldig Gottes Willen tun, um das Verheißene zu empfangen. 

Offensichtlich gibt es nicht wenige, die sich wieder vom neuen Glauben abgewandt haben. Deshalb der Aufruf zur Geduld, zum Glauben auch im Zweifel. Wirf dein Vertrauen in Gott nicht weg! An Gottes Verheißung habe ich jetzt schon teil. Ich vertraue darauf, dass Gott an meiner Seite geht. Gottes Wegbegleitung kann ich mir sicher sein.  Die Zuversicht auf Gottes Dasein eröffnet einen weiten Raum und kann meine engen, ungeduldigen Grenzen erweitern.

Siglinde Meyer, Diplom-Religionspädagogin im Schuldienst, München