Editorial von Raimund Kirch, Mitglied im Herausgeberbeirat, zur umstrittenen Ausstellung in der Nürnberger Egidienkirche
Am Adamsportal des Bamberger Doms sind die ersten unbekleideten Steinfiguren nördlich der Alpen zu sehen. Im Dom selbst überdecken nur hauchdünn angedeutete Schleier die Leiber der Ecclesia und der Synagoga. In der barocken Asamkirche von Alderbach spritzt Maria aus entblößter Brust Muttermilch in den Mund des heiligen Bernhard. Der Beispiele gäbe es noch viele. Sie zeugen von einem unbefangenen Umgang mit Nacktheit und Sexualität. Sage also bitte niemand, Kirche könne mit Erotik nicht umgehen. Kirchengeschichte ist meist vielfältiger und spannender als Religionskritiker dies wahrhaben wollen. Aber natürlich gibt es auch andere, schlimme Beispiele von Verkorkstheit und falsch verstandener Keuschheit.
Der langen Vorrede kurzer Sinn: Nach nur fünf Tagen wurde die Ausstellung „Jesus liebt“ mit Bildern des Berliner Künstlers Rosa von Praunheim in der Nürnberger Egidienkirche abgesetzt. Zu sehen waren Werke, die mit Erotik nur bedingt zu tun haben. Vielmehr wollte die Ausstellung provozieren mit anstößigen und ja: pornografischen Darstellungen, was in einem Land, in dem Meinungs- und Kunstfreiheit groß geschrieben wird, tolerierbar wäre. Allerdings an einem anderen Ort als in einer Kirche, in der Menschen auch beten und innere Einkehr halten wollen. Die Initiatoren und Verantwortlichen hatten sicher keine bösen Absichten; sie wollten eine Auseinandersetzung mit Queerness und riskierten damit Grenzüberschreitungen.
Natürlich darf man Christenmenschen etwas zumuten. Kunst muss mitunter auch anecken, sogar in Kirchenräumen. Wo aber religiöse Gefühle tiefgreifend verletzt werden können, ist Fingerspitzengefühl und Vorsicht angesagt.
In diesem wie in ähnlich gelagerten Fällen gilt: Wer provoziert, muss auch die Folgen mitbedenken. Wenn sensationslüstern etwa über die Verbrennung des Koran berichtet wird oder bedenkenlos über Kunsteskapaden, sollte mit Hassbotschaften hier und Gewaltreaktionen in Ländern rechnen, wo Religion noch eine andere Bedeutung hat als in unserer säkularen Welt. Das hat mit Kuschertum nichts zu tun. Medien haben eine Pflicht zu informieren und zu interpretieren, aber nicht zu zündeln. Und sie haben vor allem Respekt zu wahren vor dem Schamgefühl anderer Menschen und Religionen.
Raimund Kirch, Mitglied im Herausgeberbeirat