„Die große Liebende“

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern über die große Sünderin

Einer der Pharisäer lud Jesus zum Essen ein. Jesus ging in das Haus des Pharisäers und legte sich zu Tisch.  In der Stadt lebte eine Frau, die als Sünderin bekannt war. Sie erfuhr, dass Jesus im Haus des Pharisäers zu Gast war. Mit einem Fläschchen voll kostbarem Salböl ging sie dorthin. Die Frau trat von hinten an das Fußende des Polsters heran, auf dem Jesus lag. Sie weinte so sehr, dass seine Füße von ihren Tränen nass wurden. Mit ihrem Haar trocknete sie ihm die Füße, küsste sie und salbte sie mit dem Öl. Der Pharisäer, der Jesus eingeladen hatte, beobachtete das alles und sagte sich: „Wenn Jesus ein Prophet wäre, müsste er doch wissen, was für eine Frau ihn da berührt – dass sie eine Sünderin ist.“ Da wandte sich Jesus an ihn und sagte: „Simon, ich habe dir etwas zu sagen.“ Er antwortete: „Lehrer, sprich!“ Jesus sagte: „Zwei Männer hatten Schulden bei einem Geldverleiher: Der eine schuldete ihm fünfhundert Silberstücke, der andere fünfzig. Da sie es nicht zurückzahlen konnten, schenkte er beiden das Geld. Welcher von den beiden wird den Geldverleiher dafür wohl mehr lieben?“ Simon antwortete: „Ich nehme an, der, dem der Geldverleiher mehr geschenkt hat.“ Da sagte Jesus zu ihm: „Du hast recht.“ Dann drehte er sich zu der Frau um und sagte zu Simon: „Siehst du diese Frau? Ich kam in dein Haus, und du hast mir kein Wasser für die Füße gebracht. Aber sie hat meine Füße mit ihren Tränen nass gemacht und mit ihren Haaren getrocknet.  Du hast mir keinen Kuss zur Begrüßung gegeben. Aber sie hat nicht aufgehört, mir die Füße zu küssen, seit ich hier bin. Du hast meinen Kopf nicht mit Öl gesalbt. Aber sie hat meine Füße mit kostbarem Öl gesalbt.  Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind ihr vergeben. Darum hat sie so viel Liebe gezeigt. Wem aber wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe.“ Lukas 7, 36–47

 Lass die Leute reden und hör ihnen nicht zu.  Die meisten Leute haben ja nichts Besseres zu tun. Lass die Leute reden bei Tag und auch bei Nacht. Lass die Leute reden, das haben die immer schon gemacht.“ 

So sangen „Die Ärzte“ in ihrem Hit 2008 und haben Recht. Denn im Bibeltext wird ja beschrieben, wie die Leute reden: mit sich und mit anderen über Jesus und die stadtbekannte Sünderin. Worin deren Sünden besteht, darin sind sich die Ausleger seit Jahrhunderten einig. Um es mit den Worten von „Die Ärzte“ zu sagen: „Hast du gehört und sag mal wusstest du schon, nämlich: Du verdienst dein Geld mit Prostitution. Du sollst ja meistens vor dem Busbahnhof stehen, der Kollege eines Schwagers hat dich neulich gesehen.“

Aus der Sünderin wurde eine Pros­tituierte und einen Namen bekam sie auch noch: Maria Magdalena, weil dieser zwei Verse weiter erwähnt wird. So etwas ist Rufmord. Dass er schon seit zwei Jahrtausenden betrieben wird, macht es nicht besser. 

Luise Schottroff gab der Sünderin einen neuen, anderen Namen. Sie nannte sie: die große Liebende. Weil Jesus über die Frau sagt, dass sie viel Liebe gezeigt hat. Und weil sie liebevoll an Jesus handelt. Nennen wir diese Frau doch in Zukunft einfach so und orientieren wir uns an ihrem Handeln. „Du bist ein Gott der Liebe. Lass mich an Deiner Liebe festhalten und stehe allen bei, die von übler Nachrede betroffen sind.“ Amen.  

Dr. Nina Lubomierski,  Dekanin, Landshut