„Klebe dich an die Liebe Gottes!“

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Die Tänzerinnen des Jugendtanzensembles Nürnberg tanzten ihre Interpretation der Eindrücke des Kirchentags und der biblischen Lesung im Schlussgottesdienst auf dem Nürnberger Hauptmarkt. Foto: Bek-Baier
Die Tänzerinnen des Jugendtanzensembles Nürnberg tanzten ihre Interpretation der Eindrücke des Kirchentags und der biblischen Lesung im Schlussgottesdienst auf dem Nürnberger Hauptmarkt. Foto: Bek-Baier

Eine (sehr) persönliche Einschätzung des Deutschen Evangelischen Kirchentags

=> Mehr Impressionen vom Kirchentag

„Des hod fei passt!“ Neben dem obligatorischen höchstem fränkischen Lob, verstiegen sich so manche heimische Besucher des Deutschen Evangelischen Kirchentags Nürnberg und Fürth zur Aussage: „Des wahr etzt doch ganz schee!“ Mehr an lokalem Lob und der Beschreibung der Stimmung geht in wohl nicht. Und es war wirklich schön! Die Stimmung war famos. 

Deutlich euphorischer im Wortlaut formulierte es Kirchentagspräsident Thomas de Maizière am letzten Tag: „Wir haben einen wunderbaren Kirchentag erlebt! Wir sind glücklich. Der Kirchentag lebt.“ Damit meinte er, dass die Corona-Pause erfolgreich überwunden wäre und man an frühere Kirchentage anknüpfen konnte. Volle U-Bahnen und Züge (hatte keiner die Verkehrsbetriebe aufgeklärt, wie viele Leute da kommen?) überstand ich – wie von früher gewohnt – mit Singen von „Kumbaya My Lord“, und ähnlichen Kirchentags- Gassenhauern zusammen mit Pfadfinder- oder Frauengruppen. 

Ganz so schnell kam dieser Nürnberger Kirchentag aber für mich nicht in die Gänge. Liturgisch war der Eröffnungsgottesdienst am Hauptmarkt eher konservativ gestrickt. Es gab zwar sehr gute Musik vom Chor und dem kleinem Orchester aus Halle an der Saale; und selbstverständlich vom großen Posauenchor mit Bläserinnen und Bläsern aus der ganzen Republik – waren es weniger als gewohnt? Aber das typische Kirchentagsgefühl kam noch nicht recht in Fahrt. Ich vermisste eine besondere Aktion, wie ich sie von Kirchentagsgottesdiensten erwarte. Die kleine Gauklerin, mit ihren Einwürfen, die auf der Bühne herum wuselte,  reichte mir da nicht. 

Aber „traditionell“: passte das nicht zum anwesenden Post-Corona-Publikum? Wenn ich mich am überfüllten Hauptmarkt umguckte, sah ich überwiegend in ältere Gesichter – so ab 50 Jahren im Durchschnitt. Meine Generation. Wo war die junge Generation? Da dachte  ich bei mir: „Das hier sind ja die Jungen von einst“‘, die treuen Kirchentagsbesucher, die vor 30 oder 40 Jahren als Kirchentagsgänger begonnen hatten? Teilweise waren sie an dem bunten Bündel Kirchentagsschals der vergangenen Jahrzehnte zu erkennen. Bei der Segensandacht am späteren Abend mit Kerzen und Lichtermeer war die junge Generation dann plötzlich doch da. 

Denn natürlich spielte die Jugend eine große Rolle in Nürnberg, schon allein das eigene „Zentrum Jugend“ erbrachte neue und jugendliche Perspektiven für die Kirche. Auch an den Klimadiskussionen nahm die junge Generation vermehrt teil. 

Klima – wer hats verbockt?

Minister für Klimaschutz Robert Habeck diskutierte auf dem Podium „Wer hats verbockt? Und was machen wir jetzt?“ in der Nürnberger Messe mit Carla Hinrichs, der Sprecherin der „Letzten Generation“ über die Klimakrise und den Stand des Energiewandels. Er ist das erste Regierungsmitglied, das öffentlich mit einer Vertreterin der umstrittenen Organisation spricht. 

„Gut gemacht, Kirchentag!“, möchte ich sagen. So konnte das Markenzeichen des Kirchentags wieder unter Beweis gestellt werden: Kontroverse Diskussionen, bei der alle Seiten zu Wort kommen konnten. Populismus spalte die Gesellschaft, so Habeck, bringe aber keine Lösungen. Alle müssten eine positive Einstellung in der Diskussion, aber auch im Handeln gewinnen. „Ich glaube, dass Wunder nur geschehen, wenn wir hart genug daran arbeiten“, sagte Habeck. Übrigens habe nicht das Klima eine Krise, „Die Menschheit steckt in der Krise!“ 

Die Umwelt schonen und gleichzeitig den Wohlstand fördern, ist das Konzept von Bundeskanzler Olaf Scholz gegen den Klimawandel, das er auf dem Kirchentag erläuterte: Er  forderte, dass Deutschland weiterhin Vorreiter bei der Entwicklung umweltgerechter Techniken wird. 

Auch zum Thema Ukraine äußerte sich der Kanzler: Er versprach, demnächst wieder mit Russlands Präsident Putin zu sprechen. Sein Ziel sei es, eine weitere Eskalation des Ukraine Krieges zu verhindern. Deswegen sei es richtig, der Ukraine Waffen zu liefern, damit sie sich verteidigen könne. Am Tag zuvor hatte sich ja das Podium „Welchen Frieden wollen wir?“ (Seite 3) neue Verhandlungen mit Russland gewünscht.

Zu Jesus ins Boot steigen

Mit den Bibelarbeiten von Bundespräsident Walter Steinmeier, Ministerpräsident Markus Söder und Kabarettist Lutz von Rosenberg Lipinski konnte man gut intellektuell und geistlich auftanken. Das Feierabendmahl im „Treffpunkt christliche Popularmusik“ mit der Gemeinde St. Matthäus und der Moderatorenband schenkte mir eine Stunde Ruhe und das Gefühl bei Jesus Christus willkommen zu sein. Eine Mitmachandacht mit Biblischen Erzählfiguren versetzte mich zu Jesus ins Boot in den Stürmen meines Lebens. Mitten im Trubel der Messehallen und des Marktes der Möglichkeiten wurde hier eine kleine Insel der Spiritualität geschaffen. 

Was ich im Anfangsgottesdienst vermisst habe, holte der Abschlussgottesdienst nach. Zwar fanden sich auch hier traditionelle musikalische Elemente mit dem Windsbacher Knabenchor, dem Posaunenchor und den Musikern und dem Chor aus Halle. Und das ist gut so. Aber es wurden auch kreative Elemente eingebaut, wie meditative Einlagen eines Seifenblasenkünstlers. 

Große Aufmerksamkeit verdienten die Tänzerinnen des Jugendtanz-Ensembles Nürnberg. Die Jugendlichen hatten selbst die Choreografie zum Thema des Kirchentags, „Jetzt ist die Zeit“, nach Besuch der Kunstausstellung in der Egidienkirche und dem Gespräch mit den Künstlern, entwickelt. Zur biblischen Lesung aus dem Prediger, „Alles hat seine Zeit“, zeigten sie eine selbst entwickelte Tanzversion des Textes. 

Pfiffig und kurzweilig die eindringliche Predigt des ostfriesischen Pastors Quinton Ceasar. Er wandte sich gegen den Text „Alles hat seine Zeit“, wenn man ihn so verstehen würde, dass alles erst einmal beim Alten bleiben müsse. „Wir haben keine Zeit mehr, wir können nicht mehr weiter warten“, sagte er und sprach damit indirekt, den Klimawandel an. „Jesus sagt nicht nur öffnet eure Herzen, er sagt auch, öffnet die Grenzen, Gott ist parteiisch. Klebe dich an die Liebe Gottes, die befreit!“, so der Pastor weiter. „Jesus ruft uns zu Veränderungen auf und zu richtigen Entscheidungen. Ceasar sprach somit auch die Asylpolitik und den Umgang mit Minderheiten, wie Homosexuelle und quere Menschen an und die Schwierigkeiten der meisten Menschen mit ihnen. „Liebe war noch nie eine Massenbewegung! … Aber ich bin Optimist. Amen!“