Düstere Dichterin auf schwankenden Böden

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Haus Hülshoff mit Kapelle. Foto: epd/F
Burg Hülshoff bei Münster, Geburtsort der großen deutschen Poetin Annette Droste-Hülshoff (1797-1848). Foto: epd/F

Lebenslinien: Annette von Droste-Hülshoff starb vor 175 Jahren – nur eine Naturlyrikerin?

Der „Knabe im Moor“ hetzt über schwankenden Grund, während der jagende Wind und knarrendes Schilf den verdammten, ungetreuen Seelen eine Stimme geben. Nicht umsonst gilt die Verfasserin dieses Gedichtes, Annette von Droste-Hülshoff, im Münsterland als „Spökenkiekerin“, Geisterseherin.

Vor 175 Jahren, am 24. Mai 1848, starb sie. In meiner Heimat, im Münsterland, kommt immer noch fast niemand an ihr vorbei: Ein altmodisches Fräulein, das düstere Gedichte verfasste. Dazu noch stramm katholisch: Schließlich halfen „Drosten“ ehemals den Fürstbischof von Münster als Vögte oder Truchsesse. Aber nicht allein mystisch angehaucht war sie, sondern mit fast unheimlichen Bildern, in denen sich innere Verzweifelung mit schwankendem Grund und bedrohlichen Gewittern untrennbar verwoben.

Da urteilt auch Wilhelm Grimm: „Es ist schade, dass sie etwas Vordringliches und Unangenehmes in ihrem Wesen hat, es war nicht gut mit ihr fertig zu werden.“ So steht es in einem Brief an seinen Bruder Jakob. Die Märchensammler schauten auch im Münsterland vorbei. Gerade Annette hatte ihnen offenbar viel zu erzählen. Doch dann stritten sie sich wohl über die Urheberschaft von Geschichten, die Annette von Droste-Hülshoff für sich beanspruchte. Das fanden die Gebrüder Grimm jedoch nicht – nicht sehr vornehm von ihnen. 

Trotz ihrer behüteten Umgebung durchstreifte Annette von Droste-Hülshoff Wiesen und Wälder und suchte seltene Gesteine. Gleichzeitig dichtete sie lieber als zu sticken. Sicher war sie geistreich, doch das erschien eher vorlaut, wenn sie sich in die Männergespräche einmischte. In der biedermeierlichen westfälischen Adelswelt vor gut 200 Jahren eckte sie an, brach aber letztlich nicht mit all den Konventionen. 

Richtig spannend, um mit alten Klischees aufzuräumen, ist da Karen Duves Roman „Fräulein Nettes kurzer Sommer“, der auf historischen Beobachtungen fußt: Als Zwanzigjährige verliebte sich Annette in den gleichfalls dichtenden Jura-Studenten Heinrich Straube. Leider nicht standesgemäß, da Straube bürgerlicher Herkunft war. Selbst die alteingesessenen Familien im Münsterland lebten jedoch inzwischen nicht mehr dermaßen hinter dem Mond, um so eine Liaison einfach zu verbieten. Eine Intrige muss her, um Annettes Sehnsüchte gründlich zu blamieren. Danach blieb sie entgegen den Normen ihrer Epoche und ihres Standes unverheiratet. 

Dafür begann sie einen Zyklus geistlicher Lieder voller Bekenntnisse, Schuldgefühle und Hinweise auf die existenzielle Erschütterung, vielleicht gar eine Glaubenskrise. Erst 20 Jahr später sollte sie das „Geistliche Jahr“ vollenden. 

Galten ihre Gedichte für ein junges Mädchen noch als ganz gefällig, so war es keine Beschäftigung für eine gestandene Frau – schon gar kein Broterwerb für eine Adlige. Nachdem der Vater 1826 gestorben war, lebte sie im nahen Witwensitz Rüschhaus zusammen mit ihrer Mutter und der ebenfalls lange ledigen Schwester Jenny. Dort komponierte sie zunächst. Allerdings sollte Annette nie eigene Werke spielen – sie wurden erst nach ihrem Tod entdeckt. Bald reiste sie viel und veröffentlichte erste Gedichte, die jedoch wenig beachtet waren. 

Auch die Novelle „Die Judenbuche“, die 1842 erschien, fand zunächst wenig Zuspruch. Holzdiebe im „gebirgichten Westfalen“ führen angeblich Jahrzehnte zuvor die Forstaufsicht lange an der Nase herum. Zwischen den Taten der Dörfler und dem Wüten der Natur gibt es enge Verbindungen: Jegliches Unrecht spiegelt sich im Wald und im Wetter – als wären sie durch feste Bänder miteinander verwoben. 

Friedrich Mergel, Sohn eines Alkoholikers und Raufbolds, muss sich sein Ansehen im Dorf mühsam erkämpfen, auch indem er für die Holzdiebe Schmiere steht. Er protzt mit einer Uhr, die er aber offenbar wie viele Wertsachen bei einem jüdischen Händler auf Pump gekauft hat. Als dieser sein Geld fordert, wird er bei fruchtbarem Gewitter ermordet. Friedrich flieht, erhängt sich aber viele Jahre nach dem Mord (nachdem die Französische Revolution gerade begonnen hatte) am Tatort: der nun verwunschenen Buche. Ruft ihn der Tote zu sich – oder sein Gewissen? Nicht nur Unwetter, sondern unheimliche Mehrdeutigkeiten treiben die Handlung voran. 

Annette von Droste-Hülshoff verfolgte die Veröffentlichung als Fortsetzungsreihe von Meersburg am Bodensee aus. Dort weilte sie lange zu Besuch bei der Schwester Jenny, die mit 39 Jahren doch noch nach Süddeutschland geheiratet hatte. Und beim Bibliothekar ihres Schwagers, Levin Schücking. 

In schneller Folge entstanden nun Gedichte, etwa „Am Turme“ und viel idyllisch-schaurig Poesie wie eben der „Knabe im Moor“: „Der Knabe springt wie ein wundes Reh; / Wär nicht Schutzengel in seiner Näh“, würde auch er zugrunde gehen. So aber erreicht er heimatliche Lichter: „Der Knabe steht an der Scheide. / Tief atmet er auf, zum Moor zurück / Noch immer wirft er den scheuen Blick: / Ja, im Geröhre war’s fürchterlich, / O schaurig war’s in der Heide.“ Doch dann entfremdete sich Schücking von ihr auch politisch, er wurde immer liberaler. 1842 verließ er sie und heiratete. „Die Droste“ ging zunächst nach Westfalen zurück, ihre Poesie tröpfelte nur noch spärlich. 1846 war sie wieder in  Meersburg – bis zu ihrem Tod.

Da schien sie endgültig nicht mehr in ihre Zeit zu passen. Innerlich löste sie sich von den  Konventionen ihrer Zeit, wie ihr Haar im Sturmwind am Turm. Ihre poetischen Bilder blieben archaisch mythisch. Nun sehen jedoch immer mehr Poetinnen in der Zerrissenheit „der Spökenkiekerin“ eine Geistesverwandte: „Der Droste würde ich gern Wasser reichen“, so ihre „Schwester“ im Geiste, die Dichterin Sarah Kirsch.

Digitale Ausstellung unter https://go.wwu.de/droste