Unausgesprochenes kreist weiter durch die Gedanken

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Inge Wollschläger im Editorial für das Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern

Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Inge Wollschläger

„Ach – ich weiß doch auch nicht! Reden wir einfach über was anderes!“, seufzt die 93-Jährige und knetet ihre Hände. Ihren Kummer kann ich wahrnehmen. 

Nur: wie könnte man jetzt über Kuchenrezepte und Sonderangebote in Supermärkten sprechen, wo der „rosa Elefant“ als Sinnbild für alles, worüber man lieber nicht sprechen möchte, deutlich neben ihr stehe? Ihr „Elefant“ ist ihre Zukunft. Soll sie in ihrer häuslichen Umgebung bleiben? Oder doch umziehen, wie sie es seit Jahren immer mal wieder überlegt? 

Von außen betrachtet lebt sie den Traum eines gelungenen Seniorenlebens. Mit mittlerweile vier Generationen wohnt sie unter einem Dach. Doch die Tücke steckt wie immer im Detail. Sie bewohnt ein Zimmer innerhalb der Wohnung ihrer Tochter. Das ist zu nah, als dass man sich aus dem Weg gehen könnte. Und gleichzeitig nicht nah genug, als dass die sich zu netten Plaudereien treffen würden. Beide leben ihren jeweiligen Alltag mit wenig „echten“ Berührungspunkten. 

Dazu wohnen im Haus sechs Kinder im Alter von drei bis 13 Jahren, die ihre Freunde mitbringen und fröhlich und wuselig durch das Haus toben. Für einen ruhebedürftigen, alten Menschen stellt das eine ganz eigene Herausforderung und Anstrengung dar. Gehen – oder bleiben. Für jedes gute Argument gibt es ein schlüssiges Gegenargument. 

„Es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde!“, heißt es bei Hebräer 13, 9. Ihr Herz ist nicht fest und eine Entscheidung fällt ihr unendlich schwer. So „eiert“ sie schon seit Jahren herum. Zu gehen würde bedeuten, dass sie des alten Lebens und der Familie überdrüssig ist. Es würde ihr vorkommen wie ein Verrat an den Menschen, die sie liebt und von denen sie geliebt wird. 

Und ob das Neue dann besser passen würde, weiß sie nicht. Solange sie keine Entscheidung für sich selbst treffen möchte, bleibt es kompliziert. 

Vielleicht würde es helfen, miteinander zu sprechen. Doch das scheint schwierig zu sein. Es wird seine Gründe haben. 

„Es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde“. Der Satz geht weiter. „… welches geschieht durch Gnade.“

Und vielleicht ist es genau das, was die Seniorin braucht: Gnade von ganz oben für ihr restliches Leben, um gute Entscheidungen treffen zu können.