Nicht jeder Ansprache trauen

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Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Susanne Borée

Die Herzen sind billig zu haben. Ständig leuchten sie einem entgegen – bei jeder Partnerbörse im Internet. Und das nicht nur zum Valentinstag und in den eisigen Stürmen des Winters. Kommt es so zu einer großen Liebe, die sich wohl jede und jeder ersehnt? Zu einer Partnerschaft, in der verwandte Seelen zueinander passen.

Dann vielleicht der erste Chat. Wie sehr nicht nur dort die Formate elektronischer Kommunikation die Inhalte prägen, dazu haben Juli Zeh und Simon Urban einen Brief- oder besser Textnachrichten-Roman verfasst. Wie Realitäten im wahrsten Sinne dadurch ein neues Format oder auch ein Eigenleben gewinnen, lässt sich im Nacherleben des unmittelbar vergangenen „Zeitenwende- Jahres“ rekonstruieren.

Oder wenn gleich Fremde versuchen, einsamen Herzen Geld zu entlocken. Da gaukeln Menschen gerade aus ärmeren Ländern vor allem Frauen eine falsche Identität oder eine erfundende Notlage vor, um Geld zu erbetteln. Teils sind die Abzocker Süchten verfallen – oder sie werden auch in fast zwangarbeitsähnlichen Umständen dazu gezwungen. Das deckten präzise Untersuchungen vor Ort auf. Wer sich jedoch einwickeln lässt, hilft damit, diese Zustände nur fortzuführen.

Die Möglichkeiten der neuen Texterzeugung durch künstliche Intelligenz wie „Chat-GPT“ sind dabei noch gar nicht im Blick. Dies ist ein computergestütztes Modell, das dazu entwickelt wurde, Text zu erzeugen. Es verwendet künstliche Intelligenz, um Gespräche zu führen, um Informationen oder Hilfe zu liefern. Mit diesem bislang frei zugänglichen Sprachassistenten soll es gar möglich sein, Gedichte zu schreiben oder wissenschaftliche Arbeiten zu verfassen. Sein Nutzen wird sich wohl erst in der Zukunft zeigen. Noch ist ihm nicht alles zu glauben, sagen selbst die Hersteller. Wird es schneller lernen als wir?

Viele elektronischen Kontakte führen durchaus dazu, sich selbst noch einmal ganz neu kennen zu lernen. Wie reagiere ich, wenn plötzlich merkwürdige Sprüche in den Textnachrichten aufleuchten?  

Vorsicht und ein gesunder Menschenverstand sind mehr denn je gefragt, auch wenn sich das Internet nicht mit Röntgenblick transparent machen kann. Nicht jedem Herzchen ist nachzulaufen. Aber dies scheint zumindest eine Schule für Menschenkenntnis zu sein.

Susanne Borée
Kommissarische Chefredakteurin: Blattplanung, Online-Redakteurin, Redaktionelle Schwerpunkte: Reportagen, Kultur, Lebensfragen