Knotenpunkt der Religionen und Kulturen

398
Bartholomäus Ziegenbalgs Übersetzung des Lukas-Evangelium ins Tamilische auf Palmblattstreifen. Foto: Franckesche Stiftungen zu Halle
Bartholomäus Ziegenbalgs Übersetzung des Lukas-Evangelium ins Tamilische auf Palmblattstreifen. Foto: Franckesche Stiftungen zu Halle

Sonderausstellung des Stuttgarter Linden-Museums über Tamilische Geschichten

Lange vor den ersten Europäern gab es Christen in Südindien: Ja, angeblich brachte es direkt der Apostel Thomas ins Land, der dann dort das Martyrium erlangte. Erste archäologisch wasserdichte Spuren weisen zwar nur bis ins 16. Jahrhundert, doch gibt es viele ältere Traditionen. Sechs eigenständige Kirchen wollen auf ihn zurückgehen – meist mit orthodoxem oder syrisch geprägtem Ritus. Aber auch die kleine protestantisch-anglikanisch orientierte Mar-Thoma-Kirche. Ihre heutige Gestalt gewann sie während der britischen Kolonialzeit. 

Diesem südindischen Kulturraum der Tamilen ist die aktuelle Sonderausstellung des Stuttgarter Linden-Museums gewidmet. Der Bundesstaat Tamil Nadu an der Südspitze des Subkontinents trägt diese Volksgruppe im Namen. Doch leben die rund 80 Millionen Menschen dieser Kultur längst nicht nur dort, sondern auch in den angrenzenden Regionen, erklärt Kurator Georg Noack. Er hat die Schau zusammen mit indischen Partnern wie Dr. M. D. Muthukumaraswamy konzipiert.

Und bekanntlich tobte von 1983 bis immerhin 2009 auf Sri Lanka ein Bürgerkrieg zwischen den tamilischen Hindus und den singhalesischen Buddhisten. Viele tausend Tamilen leben über die ganze Welt zerstreut – von Kanada bis Australien. Tausende auch in Deutschland.

Dabei setzen sich die Tamilien ausdrücklich von nordindischen Volksgruppen und Sprachen wie Hindi und Sanskrit ab. Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Renaissance ihrer Volksgruppe. Der Missionar Robert Caldwell analysierte diese Sprache im 19. Jahrhundert als gänzlich eigenständig. Die tamilische Bhakti-Bewegung, eine fast mystische „Gottesliebe“, übersprang schon vor rund tausend Jahren die Kastengrenzen durch die persönliche Hingabe zu Gott. Auch die Frauen haben dort traditionell mehr Rechte und Bildungsmöglichkeiten als im Norden. 

Auch tamilische Politiker und Kämpfer nahmen mit Mahatma Gandhi – dessen Ermordung vor 75 Jahren gerade gedacht wurde – an der Unabhängigkeitsbewegung Indiens teil, doch betonten sie gleichzeitig ihre eigenständige Kultur. 

Religiöse Vielfalt

Diese gewann viele Impulse von außen. Der deutsche lutherische Missionar Bartholomäus Ziegenbalg (1682–1719) übersetzte das Neue Testament ins Tamilische. Nach ersten Abschriften auf den traditionellen Fächern aus Palmblättern gründete er eine Druckerei mit tamilischen Schriftzeichen, die er bei der Franckeschen Gesellschaft in Halle/Saale gießen ließ. Sie druckte auch erste Zeitungen, um ausgelastet zu sein. Erst so entstand eine tamilische Prosa-Literatur. 

Dabei hatte die tamilische Sprache schon vor Jahrtausenden eine reiche Poesie hervor gebracht, ergänzt Georg Noack. Sie wird seit mehr als 3.000 Jahren gesprochen. Dichter und Dichterinnen waren seit jeher sehr geschätzt und galten als moralische Autoritäten. Ihre Kunst ist mit den Gegenpolen von „Liebe und Krieg“ (so auch der Titel der Ausstellung) und fünf inneren Landschaften im Einklang mit geografischen Regionen eng verbunden. 

Schon vor den Lutheranern verbreiteten die Jesuiten ab dem 16. Jahrhundert – ebenfalls auf den Gewürzrouten unterwegs – den Katholizismus in Südindien. Dazu lernten sie ebenfalls tamilisch. Prozessionswagen sind oft nach dem Vorbild hinduistischer Tempelwagen gestaltet. Auch Öllampen mit christlichen Motiven oder Madonnenfiguren oder auch Kreuzen nahmen Hindu-Traditionen auf. Dort erleuchteten solche Öllampen mit Hindu-Gottheiten vor einer Reflexionsfläche die Nacht. Nicht nur der Apostel Thomas gab da Impulse.

Auch Muslime kamen weniger durch Eroberungen wie im Norden, sondern vielmehr als Händler der Gewürzrouten zu den Tamilen. Sie verbreiteten Dichtung und Literatur Südindiens in tamilischer Sprache, aber arabischer Schrift weiter.

So hatte der von muslimischen Händlern etablierte Sufi-Orden großen Zuspruch, da er sich intensiv mit der hinduistischen Spiritualität austauschte. Auf einen Sufi soll eine spektakuläre Heilung zurückgegangen sein. Schreine über den Gräbern bekannter Sufis entwickelten sich zu transreligiösen Pilgerorten. 

Die Sonderausstellung des Landes Baden-Württemberg will tamilische Identitäten auf vielen Ebenen sichtbar machen, so Georg Noack. Die Ausstellung zeigt viele mittelalterliche Objekte, aber auch Arbeiten von modernen Kunstschaffenden. Trommelmusik oder Theater repräsentieren weitere Aspekte dieser lebendigen und eigenständigen Kultur. Aber auch auf die Kochkunst und die Porträtfotografie, die eigene Wege ging, wird eingegangen.

Neben Statuen aus Tempeln oder einem bunten Dorfschrein sind auch historisch bedeutende Objekte aus der Blütezeit des Buddhismus und Jainismus zu sehen. So schafft die Schau ein dichtes Netz aus diversen Positionen und Perspektiven. Sie gibt aber auch einen Überblick über die große religiöse Vielfalt dieses Kulturraums.

Ausstellung bis 7. Mai, geöffnet dienstags bis samstags, 10–17 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr, an Sonn- und Feiertagen bis 18 Uhr, Mehr unter: https://www.lindenmuseum.de oder Tel. 0711/ 2022-579, Katalog (dt. oder engl.) 288 S., 29,90 Euro, Dresden 2022.