Warum wir Kirche anders denken müssen!

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Pommesbude als missionarischer Treffpunkt beim Ökumenischen Kirchentag
Eine Pommesbude als missionarischer Treffpunkt. Kirche muss neue Wege zu den Menschen finden, glaubt auch Schwester Bettina (rechts) von den Steyler Missionsschwestern, die in Frankfurt den Kiosk „Schwestern Pommes“ betreiben. Pastor Julian Sengelmann sprach mit ihr und anderen über diese neuen Wege der Kirche.Foto: ÖKT/Jan Lurweg

Der Schwerpunkt „Glaube und Spiritualität“ am Ökumenischen Kirchentag bot Ideen

In Gottes Haus gibt es viele Wohnungen. Aber was, wenn sie leer bleiben, wenn niemand dort wohnen will, oder gar nicht weiß, dass Gott Wohnungen und eine Heimat anbietet?

Wie können die Kirchen Menschen erreichen, was können sich Menschen von den Kirchen erwarten? Um diesen Fragenkreis drehte es sich im Schwerpunkt „Glaube und Spiritualität  am digitalen  Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt. Verschiedene Projekte und Ideen wurden in einem bunten Reigen dem Zuschauer zuhause am Computer angeboten.

Die Frage, wie erreicht Kirche Menschen bei den Höhe- und Tiefpunkten des Lebens, bei den Kasualien, stellt sich Emilia Handke, die Leiterin von „Kirche im Dialog“ der Nordkirche, dem Verbund der evangelischen Kirchen in Norddeutschland. „Die Kirchen verlieren immer mehr Kontakt zu den Menschen“, sagte sie. Etwa nur zehn Prozent aller Eheschließungen im Norden würden kirchlich geschlossen, nur noch 65 Prozent der Evangelischen werden kirchlich beerdigt. „Die Kirche hat im Bereich der Rituale und Kasualien ihr Monopol verloren und muss hier in den Wettbewerb treten“, ist sie überzeugt. „Wir müssen mehr Kreativität in diesen Bereich bringen!“ Und dann werden Beispiele vorgestellt. Wie etwa die kirchliche Trauung in einer Bar bei Drinks, die für Liebe stehen und der Verkündigung des Pauluswortes von der Liebe nach dem 1. Korintherbrief. Oder es wird von einer Bestattung erzählt, deren Feier zur Erinnerung an den Verstorbenen in einem Ruderclub stattfand. Man habe gemeinsam ein Boot gebaut, zu Wasser gelassen und mit Wünschen der Angehörigen bestückt. Das Boot sei dann auf dem Wasser verbrannt worden.

Werbung für Kasualien und Amtshandlungen

Die alten Schätze der Kirche mit neuen Ideen zu kombinieren, das ist etwas was die sogenannte „Kasualagentur“ der Nordkirche praktiziert. Kirche müsse aus dem Bereich des Marketings lernen, so Handke. Das heißt die Bedürfnisse der Adressaten gut zu kennen und danach passende Angebote zu machen. „Adressatenorientierung“ – auch für die Kirche – nennt sich das dann. Die Kasualagentur soll ein Zentrum sein, in denen Kirche ergänzend zu den Angeboten der örtlichen Gemeinden, Menschen einen Zugang zu Religion und Kasualie anbietet.

Auf eine Pommes mit Christus

Und dann wurde es doch noch so richtig typisch für einen Kirchentag! Kam der Kirchentag auch bei dem Thema „Glauben und Spiritualität“ – trotz kreativen Inhalts und progressiven Umsetzungen – eher brav und bieder daher – stellte sich an einer besonderen Pommesbude Kirchentagsstimmung ein. Und das bei einer Idee katholischer Schwestern, die schon fünf Jahre lang in Frankfurt erfolgreich ist: Einer Pommesbude! So ein bisschen „Markt der Begegnung“ entstand hier. 

Schwester Bettina, Leiterin des Projekts „Meet‘n Frites – Schwestern Pommes“ der Steyler Missionsschwestern, Frankfurt, steht in einem Kioskwagen hinter dem Tresen zusammen mit Fritteusen. Sie erzählt Pastor Julian Sengelmann, Sänger und Schauspieler aus Hamburg, der hier am ÖKT die Moderation übernommen hat, wie es zu dem Projekt der Pommesbude kam. Sie habe sich die Frage gestellt „Wie zieht die Kirche Menschen an, wie sieht Kirche in Zukunft aus?“ Sie habe mit den Menschen im Stadtviertel ins Gespräch kommen wollen. So wurde von ihrem Konvent eine eigene Pommesbude angeschafft. Schwestern und Freiwillige aus der Gemeinde betreiben die Bude. Sie ist in den fünf Jahren ihres Bestehens ein Anlaufpunkt geworden. Beim Pommes bestellen und verkaufen kommt es zum Kontakt und zu spontanen Gesprächen über das Leben.

Pastoralreferentin Doly Kadavi nennt das Viertel einen sozialen Brennpunkt. In den vergangenen Jahrzehnten habe sich die Bevölkerung hier stark geändert. Die frühere Heimat wurde so manchem zur Fremde, der soziale Zusammenhalt von einst verschwand. Das zufällige Treffen am Pommesstand kann eine Art Türöffner werden, findet die Pastoralreferentin. „Menschen, die seit vielen Jahren im Viertel wohnen haben durch die Pommesbude zum ersten Mal den Kirchplatz betreten“. 

Der Kirchvorplatz mit der Bude wurde zu einem Platz der Begegnung, der Verständigung, auf dem das Vertrauen untereinander wieder wachsen kann. „Wir müssen als Kirche die Menschen dort abholen, wo sie gerade in ihrem Leben stehen“, sagt Kadavi. Ein Ort wo man zusammen isst, sei da gut geeignet. „Jesus hat Gemeinschaft gestiftet und miteinander Mahl gehalten.“

Um auch für den Kirchentag die Pommesbude und den Kirchplatz zu beleben, fanden hier bei einer Schale Pommes frites Gespräche über neue Formen von Kirche statt. 

Ausdruck für das Leben

Eines war zwischen Pastor Julian Sengelmann und Jelena Herder, Theologin und Künstlerin aus Hannover. „Ich versuche Ausdrucksformen für das Leben zu finden, mit allem was sich mir so bietet“, sagt sie. Das sind vor allem Texte und Lieder aber auch das Arbeiten mit Farben. Sengelmann stellt ihr die ungewöhnliche Frage, „Kann man auch in der Trauer Schönheit finden?“ Als Zuschauer stutzt man. Aber man merkt gleich, dass die sensible Frau darauf eine Antwort hat. „Erst einmal nicht“, sagt sie. „Wenn man sich einlässt inne zu halten und sich dennoch traut weiter zugehen und Dinge zuzulassen, und wenn man sich bewusst ist, dass alles seine Zeit und seinen Platz hat, dann kann sich die Erfahrung einstellen, dass auch Schönes aus Trauer entstehen kann; selbst da wo Dinge zerbrochen sind.“

Scherben und Brüche des Lebens sind ihr Thema. Einfühlsam und sensibel sucht sie Sprache für Menschen, die angesichts von Scherben des Lebens sprachlos geworden sind. Die Kirche hat die große Tradition an Trost- und Hoffnungsworten. Diese Tradition verbindet die junge Künstlerin mit neuen Ausdrucksformen. Menschen die auf der Suche nach Ausdruck sind, wenn etwas zerbrochen ist, bietet sie mit ihren Liedern und Texten eine Hilfestellung. Sie verleiht sozusagen Worte wo die Sprachlosigkeit sie zuvor weggenommen hat. Die Künstlerin und Theologin bietet Konzerte an, hat aber auch eine CD produziert, die Menschen auf der Suche nach Worten ansprechen soll. Im Schlussgottesdienst trug sie ihr beeindruckendes Gedicht zum Thema Kirchentag vor – „Ich bin eine von vielen“.