„Ich liebe meine Stadt“

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zu der paulinischen Areopag-Predigt

Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt. Gott, der die Welt gemacht hat, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte. Er hat das ganze Menschengeschlecht gemacht, dass sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir. Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber hat er jedermann den Glauben angeboten, indem er einen Mann von den Toten auferweckt hat. Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören.  

aus Apostelgeschichte 17, 22–34

Ich liebe meine Stadt. Hier leben Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kulturen und Überzeugungen. In den Straßen höre ich verschiedenste Sprachen, ich rieche den Duft von Spezialitäten vieler Regionen. Eine offene Kirchentür lädt ein. Ich gehe hinein und lasse das rege Treiben außen vor. Der Kirchenraum ist wie eine große Leerstelle. Ich schließe meine Augen. Gebet ohne Worte. Inmitten der Weltstadt. Mit Herz. So könnte es funktionieren.

Meine Stadt hat sich verändert. Das rege Treiben bleibt selbst in den Straßen außen vor. Kaum jemand ist unterwegs. Das einzige, was sein Unwesen treibt, ist ein todbringender Virus. Das Miteinander ist einem Nebeneinanderher gewichen. Mit mindestens eineinhalb Meter Abstand. Doch die Menschen bleiben auf der Suche. Nach Gemeinschaft, nach Sinn, nach Zukunft. 

Apostolos, der Gesandte, spricht. Der Unbekannte wird bekannt gegeben: Da ist Einer, der Himmel und Erde gemacht hat. Es ist nicht nichts. Jeder sieht das. Und siehe, es war gut. Siehe, es gibt die eine Kraft, die alles umfasst und miteinander verbindet. Und sie wohnt nicht in von Menschen gemachten Tempeln. Gott hat es nicht nötig, dass Menschen ihm dienen. 

Gott ist in unseren Städten

Menschen haben Gott nötig. Nicht nur, aber vor allem in Zeiten der Not. Gott weiß das. Gott suchen. Gemeinschaft fühlen. Sinn finden. Und Zukunft öffnet sich. Die Leerstelle wird zum Raum für Begegnung. 

Gott ist in der Stadt. Siehe, er bleibt nicht auswärtig, wird nahbar, für einen jeden Menschen, gleich welcher Herkunft, Kultur oder Überzeugung. Jede Sprache kennt ein Wort für Gott. Seine Lebenskraft steckt in Spezialitäten aller Regionen. Seht und schmeckt die Freundlichkeit Gottes. Seine Nähe ist. Erfahrbar. 

Lebensfäden werden verbunden, es entsteht ein soziales Netzwerk. Verbundenheit unter den Menschen als Ausdruck von Gottes Nähe. In ihm lässt sich miteinander gut sein. Selbst und gerade auf engem Raum in einer großen Stadt. Aus dem Nebeneinanderher wird wieder ein Miteinander. AHA-Regel wird zum Aha-Moment: Verstanden, wir kommen nur gemeinsam durch die Krise. 

Selbst der Tod wird überwunden. Keine Krankheit, kein Leid, keine Ungerechtigkeit – nichts hat das letzte Wort. Nichts ist nicht. Sondern das Leben.

Ich liebe meine Stadt. Zusammen mit der ganzen Welt bin ich hier Zuhause. Hier pulsiert Leben in vielerlei Angeboten. Aber diesem Apostolos will ich ein andermal weiterhören. Denn er hat Worte für mein Gebet. Inmitten der Weltstadt. Mit Herz. So wird es funktionieren. Ein Grund zum Jubeln! 

Dekan Felix Reuter, München