Ungleiche Geschwister Judentum und Christentum schon in der Frühzeit

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Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt von Susanne Borée

Der erste Nachweis von Juden auf später deutschem Boden war wohl kein Anlass zum Jubeln! Jedenfalls nicht für die Betroffenen. Vor exakt 1.700 Jahren, anno 321 entschied der römische Kaiser Konstantin, dass die Juden in Köln fortan auch städtische Verwaltungsämter zu übernehmen hätten. Das klingt nun wirklich alles andere als diskriminierend. Doch zur Ausübung dieser Ämter gehörte es, dem Kaiser als Gott zu opfern – das bedeutete Götzendienst für fromme Juden.

Dieses Dokument zeigt aber auch, dass es in Köln damals bereits Juden gab, die angesehen und wohlhabend genug für diese Ämter waren. Denn dafür bekam niemand eine Honorierung – im Gegenteil: So eine Tätigkeit konnte richtig teuer werden. 

Kaiser Konstantin war zugleich der römische Herrscher, der dem Christentum neue Anerkennung verschaffen sollte. Bereits neun Jahre vor diesem Dokument, 312, besiegte er seinen Konkurrenten bei der Milvischen Brücke – angeblich mit einer Vision des Kreuzzeichens vor Augen. 

Nun stellte er zunächst das Christentum allen anderen Religionen gleich. Doch die alten Kulte bestanden zunächst weiter, auch wenn sich Konstantin mehr und mehr christlichen Vorstellungen zuwandte. Erst 337 auf dem Totenbett ließ er sich taufen. Und übrigens milderte ein zweites Edikt Konstantins gegenüber den Kölner Juden zehn Jahre später das erste ab: Nun waren sie von der Übernahme von Verwaltungsämtern wieder befreit.

Dennoch ist es sehr spannend, dass gerade in der Übergangszeit, als das Christentum an Anerkennung gewann, auch dieses Kölner Edikt gegen die Juden ansetzt. Sie mussten zwar im Römischen Reich nach dem Jüdischen Krieg im Jahr 70 eine Sondersteuer zahlen, doch ansonsten blieb ihre Religionsausübung ungestört. 

Das Verhältnis zwischen Juden und Christen vor Konstantin war jedoch vielschichtiger und komplexer als es zunächst scheint. Da ist es mir nun in dieser Sonntagsblatt-Ausgabe zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar wichtig, einige dieser Entwicklungslinien nachzuzeichen. Einige neuere Veröffentlichungen werfen noch einmal ungewohnte Perspektiven darauf und ergänzen sich mit ihren Gedankengängen. Da wünsche ich Ihnen ebenfalls anregende Entdeckungen bei einer Frage, in deren Schatten wir bis heute leben.