Andacht: Ungeliebte Wahrheit – Wahre Liebe

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Und Petrus sprach zu ihnen: „Gott hat mir gezeigt, dass ich keinen Menschen gemein oder unrein nennen soll. Nun erfahre ich die Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht, sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und Recht tut, der ist ihm angenehm.“

aus Apostelgeschichte 10

Da ist es aber auch Zeit geworden, dass Petrus endlich die Wahrheit erkennt. War er doch an der Quelle, ganz nah an dem, der von sich sagt: „Ich bin die Wahrheit.“ Petrus, der nicht immer wahrhaftig war und leugnen konnte. Jeder Mensch ist liebenswert kostbar, jeder ist Gott „angenehm“, sein Geschöpf und Eigentum. Selbst in unser Grundgesetz hat diese Wahrheit Eingang gefunden. Im Artikel 1 heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Eine Wahrheit, die seit Menschengedenken mit Füßen getreten wird, auch in unserer Zeit.

Wenn, wie wir es gerade wieder erleben, der Rassismus wieder auflebt und Menschen in Klassen einteilt, wenn die Erinnerung an die Nazizeit von AFD-Politikern als „Erinnerungs-Diktatur“ bezeichnet wird, wenn Geflüchtete verfolgt und gedemütigt werden, immer dann wird diese Wahrheit verachtet.

Was sich da alles zusammenbraut und uns Angst macht. Handelskriege, Attentate, Rechtsradikalismus, Pegida, digitale Überwachung, Klimakatastrophe. Wohin kommen wir mit Steuermännern wie Trump, Erdogan, Bolsonaro, die Liste ist lang. Und die Wahrheit geht unter. Es gehört zu unseren Aufgaben, gerade als Kirche, hier nicht still zu bleiben, sondern Widerstand zu leisten und so dem Evangelium Gehör zu schaffen. Ausnahmslos alle Menschen und Völker sind gemeint, Gottes Wahrheit ist nicht teilbar.

Beginnen können wir bei uns selbst, da, wo es uns oft am schwersten fällt, bei dem Gespräch mit Menschen anderer Religionen. Ich stelle mir das so vor. Sie reden über Glauben und Religion: Muslime, Juden, Christen. Sie lesen in ihren heiligen Schriften. Man merkt, wie ernst es ihnen ist. Sie erzählen von ihrem Glauben, sie finden heraus, was sie verbindet und was sie unterscheidet. Unendlich viele Fragen haben sie, die ihnen den Weg zueinander bahnen. Sie lehren und lernen. Sie lieben ihren Glauben und gerade deswegen sind sie so dialogfähig. Sie streiten schon um den richtigen Weg, aber sie schlagen den anderen nicht ihre Wahrheiten um die Ohren. Ihre Wahrheit ist das Gespräch. Sie reden über Gott, nicht über ihren Gott, sondern über den Gott.

Eine Muslimin unterbricht das Gespräch und sagt: „Ich muss jetzt beten.“ Die anderen sagen: „Bete für uns mit!“ Und sie antwortet: „Ich bete für die ganze Welt.“ Ich mische mich ein in das Gespräch: In Jesus Christus hat er sich mir mit seinem menschlichen Antlitz gezeigt. Es wäre ganz in seinem Sinn, dass wir so heute hier zusammensitzen. Er ist Menschen anderer Religionen mit Achtung und Toleranz begegnet, ja er hat sie sogar als Vorbild hingestellt wie den barmherzigen Samariter. Von ihm habe ich gelernt: Gottes Güte und Liebe gilt allen Menschen. Darum darf unser Gespräch nicht nur der Versuch bleiben, unsere Glaubenssätze miteinander abzustimmen. Es muss vielmehr auch noch der Versuch sein, den Schutz der Erde miteinander anzupacken und sich für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen.

Die Unterschiede zwischen Islam, Judentum und Christentum und Menschen anderer Religionen werden bleiben. Wir haben nicht die gleiche letzte Gewissheit. Es können nicht am Ende alle Recht behalten. Aber das schließt nicht aus, sondern es schließt ein, dass ich mit meinem Glauben den jeweils anders Gläubigen mit Achtung und Respekt begegne. Es schließt ein, dass wir zusammen für ein friedliches Zusammenleben eintreten und um das Recht, um die Wahrheit und die Liebe wetteifern, bis Gott einmal endgültig die letzte Wahrheit enthüllen wird.

Dekan Dr. Gerhard Schoenauer, Pegnitz