Der Garten der Großmutter bleibt in der Erinnerung

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Inge Wollschläger im Editorial für das Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern

Blühendes Editorial von Inge Wollschläger im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

„So schöne Blumen“, freute sie sich immer und strich vorsichtig über Blüten und Blätter. „Wie im Garten meiner Großmutter!“

Zum Besuch im Seniorenheim brachte ich ihr oft Blumen mit. Tulpen im Frühling, Dahlien im Herbst. Jetzt hätte ich ihr vielleicht ein kleines Sträußchen Maiglöckchen mitgebracht. Auch da wäre ihr mit Sicherheit eine Geschichte der Großmutter eingefallen. Viele, viele Male hatte sie erzählt. Immer und immer wieder beschrieb sie den Garten und das Reich der Großmutter. Ebenso den Wirkungskreis der Mutter. Beides fein säuberlich abgesteckt – vielleicht um sich nicht in die Quere zu kommen und den Familienfrieden zu wahren. 

Seit Jahren befand sie sich nun schon in ihren Erinnerungen. Ganz selten fand sie zurück in die Welt, in der sie tatsächlich lebte. Ich kannte die meisten der Geschichten – nur hin und wieder gab es eine kleine Ergänzung, die mir neu war. 

An ihrer Zimmertüre hing zur besseren Orientierung für sie eine alte Schwarz-Weiß-Aufnahme des Ortes, in dem sie aufwuchs. Neben der Kirche stand das Haus ihres Vaters – dann fuhr sie mit dem Finger die Straße entlang, bis zum Ende des Fotos: „Hier noch ein Stück weiter war dann unser Haus.“ Dann trat sie einen Schritt näher, um genauer zu schauen: „Aber das ist nicht mehr auf dem Foto!“

Ich kannte den Schlittenberg, wo sie einen Unfall hatte. Die Dorfschule, wo die Kinder einen Scheit Holz zum Unterricht mitbringen mussten. Ich wusste Bescheid über die Scheune, die im Krieg durch Brandbomben zerstört wurde und das anschließende Schweigen der Kühe und Lämmer. 

Vor allem aber kannte ich den Garten der Großmutter. 

„Wir sehen die Welt nur einmal in der Kindheit. Der Rest ist Erinnerung“, schreibt die amerikanische Schriftstellerin Louise Glück.

Was für ein Segen sind diese Erinnerungen, wenn das gegenwärtige Leben keine Rolle mehr spielt. Der Duft der Kindheit, den Geschmack der Großmütterlichen Pflaumen noch auf der Zunge – all diese Geschichten sind lebendiger und wichtiger  als Bingo-Nachmittage im Seniorenheim oder dünner Kaffee zum Frühstück. 

Ich trage einen Teil dieser Geschichten in meinem Herzen. Und bei manchen Blumen, die bei mir heute in einer Vase stehen denke ich: „Wie aus dem Garten der Großmutter!“