Hilflosigkeit überwinden

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Inge Wollschläger, Evangelisches Sonntagsblatt aus Bayern
Inge Wollschläger, Mitglied der Redaktionskonferenz im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern, Hintergrundbild von Erich Kraus.

Editorial von Inge Wollschläger im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern über alltägliche Vorurteile

Mit meinem Kollegen war ich nach einer Veranstaltung schnell noch etwas einkaufen. Wir waren heiter und entspannt und freuten uns schon auf unsere Abendessen. Selbst die Schlange an der Kasse war nicht besonders lang. Vor uns stand ein schwarzer Mann. Offensichtlich hatte er etwas vergessen, denn er schlängelte sich an uns vorbei und war für einen kurzen Moment verschwunden. 

Für mich eine bekannte Situation. Schon oft ist mir auch im letzten Augenblick noch ein Punkt auf der Einkaufsliste eingefallen, den ich vergessen hatte. Dann bin ich immer sehr froh, dass es mir gerade noch einfällt, und flitze im besten Fall schnell noch mal los, um das Fehlende zu holen.

Dem Kollegen und mir war nichts fremd oder ungewöhnlich erscheinen – wenn nicht ein junger Mann hinter uns laut und vernehmlich zu mosern angefangen hätte: 

Man könne ja Bescheid sagen, anstatt sich so durchzumogeln. Und überhaupt sei das doch keine Art. Möglich, dass so etwas in seinem Land üblich sei, aber hier in Deutschland habe man ja schließlich noch Anstand. Und so ging es immer weiter. Die Anklage schien kein Ende zu nehmen.

Ob der junge Mann auch so über einen weißen Menschen gesprochen hätte, der kurz vor Landschluss ebenfalls noch eine geistige Erhellung über seinen Einkaufsplan hätte? Das können wir natürlich nicht wissen. 

Es war eine unangenehme Situation für den Kollegen und mich, die wir zuhörten – und vielleicht auch für den, über den geschimpft wurde. Es war ein Moment des gefühlten Unrechts. Uns fehlten in diesem Moment die passenden, deeskalierenden Worte. 

„So etwas muss man üben“, las ich einmal in einem Artikel. „Üben, damit man hinterher in solchen Situationen nicht stumm dasteht und bedauert, nicht eingegriffen zu haben. Und sich noch dazu über eine sehr verzögerte Schlagfertigkeit und Hilflosigkeit ärgert.

Es ist egal, ob Alltagsrassismus, anzügliche Komplimente, Übergriffe oder wüste Beschimpfungen: Wir alle kommen immer wieder einmal in Situationen, die uns unvorbereitet treffen. Für diese Momente lohnt es sich, vorher zu üben. Und so saßen wir später im Auto und überlegten: „Was hätten wir sagen können oder wie reagieren, um diesen Moment zu entschärfen?“. 

Hätten Sie gehandelt und wenn ja – wie?