Neue Chancen für Rouhollah und Luisa

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Von links: Rouhollah Abbasi, sein Chef Alexander Schmidt, Thomas Raithel, Geschäftsführer der EJSA, und Senad Azemovic, Leiter der Jugendmigrationsarbeit der EJSA. Foto: Borée
Von links: Rouhollah Abbasi, sein Chef Alexander Schmidt, Thomas Raithel, Geschäftsführer der EJSA, und Senad Azemovic, Leiter der Jugendmigrationsarbeit der EJSA. Foto: Borée

Experten der EJSA sehen viel Potential bei gezielten Hilfen gegen Ausbildungsabbrüche

Rothenburg o. d. Tauber. Rouhollah Abbasi kam einfach nicht zur Arbeit. Der angehende Stuckateur bei der Rothenburger Karl Schmidt GmbH hinterließ eine Lücke bei laufenden Bauprojekten – ohne dass jemand in seiner Firma wusste, was mit ihm los war. Nach einer guten Woche stellte sich heraus: Er trauerte um eine Cousine, die in Afghanistan gestorben war.

Es war nicht die einzige depressive Phase Rouhollah Abbasis. Er stammt aus einer afghanischen Familie, die bereits vor seiner Geburt in den Iran geflüchtet war. Auch dort lebten sie mit ungewissem Aufenthaltsstatus. Alle paar Monate mussten sie diesen erneuern. 

Mit 21 Jahren gelangte er 2016 allein nach Rothenburg. Als Maler und Stuckateur habe er bereits im Iran gearbeitet, gibt er an. Allerdings ohne geregelte Ausbildung, die es dort so nicht gibt, sondern in mehreren Bereichen angelernt. 

Auch in Deutschland hat er lediglich eine Duldung während seiner Ausbildungszeit, die er vor gut zwei Jahren bei der Firma Karl Schmidt begann. Bürokratische Vorgaben zur Klärung seines Aufenthaltsstatus wuchsen ihm über den Kopf. Depressive Phasen warfen ihn immer wieder zurück. Er verstand teils die Lerninhalte der Berufsschule nicht. 

Endlich vermittelte eine ehrenamtliche Flüchtlingshelferin ihm einen Kontakt zur EJSA Rothenburg. Die Evangelische Jugendsozialarbeit in Westmittelfranken feierte nun ihren 20. Geburtstag. Ursprünglich kümmerte sich Thomas Raithel beim evangelischen Dekanat in der Tauberstadt um junge Menschen, die Probleme bei ihrer Lehrstelle hatten. 

Verstärkte Hilfen für die gesamte Region

Das gewann eine Eigendynamik: Raithel gründete mit Mitstreitern als Geschäftsführer die Jugendsozialarbeit als gemeinnützige GmbH, die wesentlich von den evangelischen Dekanaten in den Landkreisen Ansbach und Neustadt/Aisch unterstützt und getragen wird. 

Sie coacht auch Luisa (Name geändert), deren Herkunft viel geordneter ist. Bei extremer Prüfungsangst hatte sie ihre Zwischenprüfung als Verwaltungsfachangestellte nur knapp bestanden. Nun war sie überzeugt, dass sie die Ausbildung nie schaffen würde. Eine versteckte Essstörung offenbarte sich zudem.

Auch die Bundesagentur für Arbeit engagiert sich bei der EJSA finanziell. Sie zahlt für den Bereich der „Assistierten Ausbildung“ für 30 Azubis. Die Unterstützung dort ist noch einmal deutlich intensiver als das Ausbildungs-Coaching für rund 130 Jugendliche ist. Der Bedarf in der Region liege aber bei rund 350 jungen Menschen, wenn die teils „abenteuerliche Finanzierung“ besser gesichert sei. Auch auf Spenden und Unterstützung durch beteiligte Firmen ist die EJSA angewiesen.

Auch Abbasis Chef Alexander Schmidt, Geschäftsführer und Ausbilder bei der Karl Schmidt GmbH, ist erleichtert über die Unterstützung durch die EJSA. Ihm ist es wichtig, den afghanischen Azubi nicht zu verlieren. „Es war eine gute Investition“, erklärt er im Brustton der Überzeugung. Inzwischen stabilisierte sich sein Engagement für die Firma. Wenn Rouhollah Abbasi nun voraussichtlich im kommenden Jahr die Gesellenprüfung schafft, kann er sich eine Übernahme gut vorstellen.

Natürlich herrscht Fachkräftemangel: Junge Menschen können sich ihren Ausbildungsplatz praktisch frei aussuchen. Die Firma Karl Schmidt sei aber inzwischen wieder in der glücklichen Lage, mehr Bewerbungen für Lehrstellen zu erhalten als sie Plätze hat, so der Geschäftsführer. Als Familienbetrieb, der in der Region gut aufgestellt sei, herrsche ein hervorragendes Klima.

Trotz der aktuellen goldenen Zeiten für Auszubildene gibt es jedes Jahr etliche Abbrüche. „Junge Menschen und auch Ausbildungsbetriebe brauchen Begleitung, wenn es mal nicht rund läuft“, sagte Thomas Raithel. Dazu sei nicht unbedingt mehr Geld nötig, „es muss aber effektiver eingesetzt werden“. 

Hilfen gezielt koordinieren

Grundsätzlich investiere die Agentur für Arbeit bereits rund eine Milliar-
de Euro in Hilfen für Auszubildende. Doch gibt es viele unterschied-
liche Förderprogramme. Auch die Jugendhilfe oder die Jugendberufsagentur sind beteiligt. So gehört eine Menge Durchblick dazu, um sich dort zu orientieren und zu sehen, welcher Topf gerade für eine konkrete Problemlage passend ist. Da bietet sich die EJSA als freie Trägerin an, um dies als zentrale Anlaufstelle zu koordinieren.

Das gestaltet die EJSA bereits in ihrer sogenannten „Assistierten Ausbildung“ – am Bau wie bei Rouhollah Abbasi und seit neustem auch in Pflegeberufen. In der generalistischen Pflegeausbildung begleitet die EJSA zehn junge Menschen in der Region Rothenburg-Ansbach. Dazu gehört auch teils eine Sprachbegleitung oder ein Abbau bürokratischer Hemmnisse für junge Menschen mit Migrationshintergrund. 

Senad Azemovic, Leiter der Jugendmigrationsarbeit der EJSA, wühlt sich durch solche Barrieren. Er bezeichnet die Erleichterungen für Geflüchtete aus der Ukraine als vorbildlich. Nun sind die rund 2.000 Ukrainer in der Region mit Sprachkursen und Schule beschäftigt. Der Übergang in eine Ausbildung steht noch an. Auch werden Abschlüsse aus der Ukraine meist anerkannt.

Natürlich gebe es auch in der „Assistierten Ausbildung“ Abbrecher, vor allem jedoch Erfolge. Die Beratenden schauen sich die jeweilige Situation genau an und begleiten die Auszubildenen teils mit in die Betriebe. In vielen Fällen lasse sich die Lehre retten, meint Raithel. Ein „Durchziehen der Ausbildung um des Durchziehens willen“ sei aber auch falsch: „Manchmal ist ein Abbruch die beste Lösung.“

Doch mit einer gezielteren Förderung von jungen Menschen, könnten sich die Abbrecherquoten deutlich senken lassen, ist der EJSA-Geschäftsführer überzeugt: „Das darf man nicht nur als soziales oder Bildungsproblem sehen.“ Doch Gesellschaft und Politik müssten das Thema auch als wirtschaftspolitischen Faktor begreifen. „Wir können es uns doch angesichts des Fachkräftemangels schlicht nicht leisten, auf die Qualifizierung dieser Arbeitskräfte zu verzichten.“

Bundesweit hätten 2,33 Millionen junge Menschen unter 34 Jahren nach einem Datenreport des Bundesinstituts für Berufsbildung keine formale Berufsausbildung. Das ist jeder Siebte: Wenn sie nicht erwerbslos sind, arbeiten sie in der Regel als ungelernte Kräfte und üben oft schlecht bezahlte und unsichere Jobs aus. Dem kann Rouhollah Abbasi wohl entgehen. Auch Luisa ist nun motiviert und mit neuer Kraft in ihr letztes Lehrjahr gestartet.  

Auch die EJSA erhielt zu ihrem 20. Geburtstag noch ein besonderes Geschenk: Das Gütesiegel „Soziale und berufliche Integration“ von der Landesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit Bayern.