Liebevolle Beziehung fördert den Glauben

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zum Beginn der Rut-Geschichte

Rut antwortete: „Wo du hingehst, da will auch ich hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ 

Rut 1,16

„Ob man will oder nicht, man heiratet die Familie mit.“ Dieser Satz eines Brautpaars sieht den Tatsachen realistisch ins Auge. Wer sich für einen Partner entscheidet muss nicht zwangsweise dessen ganze Verwandtschaft lieben. Letztlich aber verbindet eine Hochzeit zwei Familien auf besondere Weise. Gerade das Verhältnis zur Mutter des Partners gilt oft als fragil. Das Buch Rut bildet zeigt das Gegenteil auf. Der Vers, den viele Paare als ihren Trauspruch wählen, ist überraschenderweise Ruts Liebeserklärung an Noomi, ihre Schwiegermutter.

Die war mit ihrem Mann Elimelech wegen einer Hungersnot aus Bethlehem ins verhasste Nachbarland der Moabiter geflohen. Dort hatten die Söhne des Paares nach dem Tod des Vaters einheimische Frauen geheiratet. Doch auch die Brüder sterben ohne Nachkommen und zurück bleiben allein die Witwen. Ihr Band scheint eng zu sein: Orpa und Rut wollen der Schwiegermutter in die alte Heimat folgen. Noomi versucht, die beiden zur Rückkehr zu bewegen, indem sie auf ihr Alter hinweist. Selbst wenn sie noch einmal Söhne bekommen könnte, kämen diese nicht mehr als neue Ehemänner infrage. 

Sie spielt damit auf ein Gebot an: Der Bruder eines kinderlos Verstorbenen hätte die Pflicht, durch die Schwagerehe den Witwen soziale und rechtliche Sicherheit zu verschaffen (5. Mose 25,5ff.). Doch dieser Ausweg ist hier illusorisch. Orpa kehrt daraufhin unter Tränen zurück. Rut aber bleibt und erweist sich mit ihrem Versprechen als echte Freundin. Sie lässt die eigene Herkunftsfamilie, Heimat, Religion zurück, um mit ihrer Schwiegermutter nach Bethlehem zu gehen.

Nicht allein wegen dieses Beispiels beeindruckender Frauensolidarität lohnt es sich, das Buch Rut ganz zu lesen. Spannend wird erzählt, wie Rut in der Fremde ums Überleben kämpft, einen neuen Mann findet und schließlich Mutter und Vorfahrin des Königs David wird und dies alles als „Ausländerin“, der eigentlich nach einer Regel der Tora die Heirat mit Juden verboten war (5. Mose 23,4). 

So erweist sich das Buch Rut auch als Beispiel dafür, wie Traditionen neu ausgelegt werden können. Der Gott Israels, zu dem sich Rut bekennt, zeigt sich in der ganz praktischen Sorge für die Armen, vor allem für die Witwen, Waisen und Fremden. Daneben kommen auch die Themen List und Liebe, Sex und Geld nicht zu kurz.

Die meisten Brautpaare, die diesen Trauspruch wählen, wissen meist nichts von alldem. Doch auch, wenn sie von Rut und ihrer Schwiegermutter hören, bleiben sie bei ihrer Wahl. Gerade Partnerschaften in binationalen Ehen wollen damit ihre Absicht zum Ausdruck bringen: Wir bauen eine neue Gemeinschaft und wir sind uns bewusst, dass unsere Ehe auch eine kulturelle und spirituelle Dimension hat. 

Seit Jahren arbeite ich mit blinden Menschen und weiß einiges über ihre Probleme und Ängste, aber auch Freuden und Fähigkeiten. Doch selbst wenn ich etwa einen ganzen Tag unter der Augenbinde verbringen würde und versuchte, meinen Alltag so zu bewältigen, die Lebenswirklichkeit eines Geburtstblinden werde ich nie ganz nachvollziehen können.

Rut lässt sich in bewundernswerter Weise auf eine neue Kultur, ja sogar auf einen ihr neuen Gott ein. Dabei helfen ihr eine freundliche Schwiegermutter und ein menschenfreundlicher Umgang mit Gesetzen. Der Glaube an Gott wächst also aus liebevoller Beziehung und Erfahrung mit gerechtem Handeln. Ich nenne diese biblische Grundhaltung: Realistische Liebe.

Pfarrer Peter Kocher, St. Markus München-Maxvorstadt

und Blinden- und Sehbehindertenseelsorger