Glaubenskrise oder Glaubensvertiefung?

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Gerard Minnaard und Klara Butting.
Gerard Minnaard und Klara Butting. Foto: Woltersburger Mühle

Corona-Krise als Möglichkeit, sich mit der eigenen Religiosität auseinanderzusetzen

Die Zeit der Stille als Zeit der Besinnung – das ist für die christliche Tradition kein neuer Gedanke. In den vergangenen Monaten gewann er jedoch eine ganz brisante Aktualität. Selbstredend waren die Wochen des Corona-Lockdowns eine intensive Krisenzeit, wie sie seit langem unvorstellbar war. Hinter sorgfältig verschlossenen Vorhängen griffen landauf, landab wohl in unzähligen Wohnungen und Häusern Ängste und Depressionen um sich.

Auch Tagungshäusern und Diskussionsrunden fehlte immer mehr die notwendige Luft zum Atmen. Viele von ihnen verlagerten die Gemeinschaft ins Netz. Zoom-Seminare und Online-Andachten schufen eine Nähe, die es in der realen Welt nicht mehr geben konnte. 

„Die Erde wehrt sich“: Unter diesem Titel fassten die Theologen Klara Butting und Gerard Minnaard zwölf „Besinnungen in besonderen Zeiten“ zusammen. Diese hielten sie vom 25. März bis 2. Mai auf der Homepage der Woltersburger Mühle. Natürlich war das Tagungszentrum bei der niedersächsischen Stadt Uelzen in dieser Zeit dicht. 

Von Norddeutschland aus hat es aber durchaus überregionale Bedeutung. Regelmäßig kommen dort Theologiebewegte zu einem intensiven Austausch über Herausforderungen biblischer Erzählhorizonte zusammen. Ferner lehrt Butting Altes Testament in Bochum. Ihr Ehemann Gerard Minnaard hat das damals heruntergekommene Gelände der Woltersburger Mühle mit Hilfe eines Arbeitslosenprojekts zu einem Tagungs- und Gästezentrum ausgebaut, das er leitet. Beide geben die Zeitschrift „Junge Kirche“ heraus, die biblische Spiritualität und soziales Engagement verbinden will.

Natürlich setzte Corona ihren Aktivitäten in diesem Jahr deutliche Grenzen. Doch für die beiden Theologen war es gerade in dieser Krisenzeit wichtig, Einspruch gegen Fehlentwicklungen der Gegenwart zu erheben. „Die Erde wehrt sich“ heißt für sie nicht, dass eine Mutter Gaia ein fast unsichtbares Virus zusammengebraut hat als Waffe gegen menschliche Gier oder Respektlosigkeit. Sie verstehen es auch nicht als moderne Variante der Sintflutgeschichte von Seiten Gottes. Sie erinnern in ihren abwechselnd gestalteten Andachten jedoch an den biblischen Widerspruch menschlicher Zerstörungswut. Was aber zählt im Leben wirklich? So kann Gott auch entdeckt werden in der plötzlichen „himmlischen Ruhe“, die vielerorts während des Lockdowns eingetreten ist. Das Aufatmen der Erde könne als heilsame Unterbrechung gesehen werden – um falsche Wege zu erkennen und umzukehren.

Glauben bedeutet für Butting und Minnaard aber auch, sich von der eigenen Angst nicht lähmen zu lassen, sondern zur größeren Hoffnung in Gott durchzudringen. So erinnert Klara Butting an Etty Hillesum. Diese versteckte sich als Jüdin 1942 in Amsterdam vor den deutschen Besatzern. Klara Butting betont dabei: „Selbstverständlich will ich unsere Situation angesichts der Corona-Epidemie nicht mit dem Schrecken vergleichen, denen Etty Hillesum unter dem Naziterror ausgesetzt war.“ Doch sie zitiert auch den Gedanken von ihr: „Man darf nicht vorzeitig einen Teil des Lebens dem Tod zum Opfer bringen, indem man sich vor ihm fürchtet. Die Angst lässt uns nur ein armselig verkümmertes Restchen Leben übrig.“

Gleichzeitig war die „verordnete Zwangsruhe“ nicht nur schrecklich, sondern auch heilsam: Sie verminderte Stress-Symptome des Alltags oder einen drohenden Burn-Out. Butting und Minnaard sahen Hoffnungszeichen, dass Menschen sich in intensiverer Form begegnen und Gemeinschaft leben konnten. 

Natürlich fallen auch viele nach dem Lockdown in ihr bisheriges Alltagsverhalten zurück. Sie sehen Massenpartys, eine Fortsetzung gierigen Verhaltens oder Reisen unter gefährdeten Bedingungen quasi als Menschenrecht an. Doch ist es gut, sogar heilsam, dass Klara Butting und Gerard Minnaard bei ihren Impulsen bis zum 2. Mai geblieben sind und diese dokumentiert haben.

Umdeuten der Geschichte

„Apokalypse heißt Hoffnung“: Unter diesem Vorzeichen erweist sich die Corona-Krise nicht nur als Zeit der Glaubensprüfung, sondern auch der Glaubensvertiefung.

Um das „Jüngste Gericht“ geht es Minnaard auch in einem zweiten Buch aus diesem Sommer. Im „Geheimnis der Humanität“ deutet er elf biblische Episoden „für Menschen, die vielleicht an Wunder, aber nicht an Mirakel glauben“. 

Er meditiert etwa das Jüngste Gericht nach Matthäus 25, in dem Jesus als „der Mensch, der schon jetzt im Verborgenen unterwegs ist, sichtbar wird“, die „Schafe von den Böcken trennt“. Minnaard zeigt, dass das „letzte“ Gericht auch im Sinne eines „tiefsten“ Urteils übersetzt werden kann. Es zeigt die Folgen „praktischer Humanität“. 

Diese Konsequenz zieht er auch aus dem „Turmbau von Babel“. Gottes Reaktion deutet er nicht als Sprachverwirrung oder so. Nein, es zeigt für ihn die Befreiung der Sprache gegen die Zwänge, denen sich alle Gedanken und Planungen der Beteiligten der Erfüllung des monströsen Projekts unterwerfen müssen.    Wenn Menschen dabei noch aus ärmeren Randgebieten dafür ausgebeutet werden, lassen Tönnies oder Westfleisch schnell grüßen.

Bei der Auslegung der Opferung Isaaks wiederum ist der Hinweis zentral, dass Gott seine Aufforderung gegenüber Abraham mit den Worten „Mach dich auf“ einleitet. Das seien dieselben Worte, mit denen er den Patriarchen bereits auf den Weg ins Gelobte Land gerufen hatte. 

Ein einmaliger Aufbruch einer Befreiungsbewegung reiche nicht, dass dieser Weg „mit dem Zusammenleben einer befreiten Gemeinschaft endet“. Schon zuvor war Abraham bereit, seine Frau etwa an den Pharao zu opfern um selbst unbehelligt zu bleiben (1. Mose 12).

Natürlich ist die Aufforderung entsetzlich, den Sohn zu opfern. Es geht Minnaard bei seiner Deutung nicht um eine alte Auseinandersetzung mit dem Baals-Kult, der vermutlich Kinder opferte. Nein, ganz aktuell zeigt er, „dass das Unmenschliche, mit dem wir konfrontiert werden, ziemlich normal ist“ – gerade heute. „Wir opfern ständig unsere Zukunft und vor allem die Zukunft anderer Menschen für kurzfristige eigene Interessen. Und dann sind wir erschrocken und überfordert, wenn wir mit den Folgen unseres Tuns konfrontiert werden. Nein, die Aufforderung unsere Kinder für unsere Zukunft zu opfern, ist uns nicht fremd.“ Vielleicht hilft die Zeit der Stille zur Umkehr. Susanne Borée

– Klara Butting, Gerard Minnaard: Die Erde wehrt sich. Verlag Erev-Rav 2020, ISBN 987-3-932810-63-3, 60 S., 10 Euro.

– Gerard Minnaard: Das Geheimnis der Humanität, Verlag Erev-Rav 2020, ISBN 978-3-932810-61-9, 132 S., 14,80 Euro.

Die Bücher sind auch bestellbar unter Telefon 0581/97157015 oder über https://www.woltersburger-muehle.de/shop/.