Der Nürnberger Stadtteil Langwasser und seine acht Kirchen
Wenn in Nürnberg von Langwassser die Rede ist, trifft man oft auf das typische fränkische Understatement. Obwohl es sich um die erste bundesdeutsche Tra-bantenstadt nach dem Krieg handelt und dort mit Erfindergeist
und durchdachten Plänen ein Stadtteil für über 30.000 Menschen entstand, kommt dieser in der öffentlichen Wahrnehmung doch nur am Rande vor. Auf der Tourisitenkarte Nürnbergs hört die Stadt schon hinter dem Messegelände auf.
Dabei hat Langwasser Erstaunliches zu bieten: überdurchschnittlich viel Grün, eine durchmischte Bebauung, bedeutende Kunstobjekte, gute Verkehrsanbindungen und nicht zuletzt: je vier architektonsich kühne und bemerkenswerte evangelische und katholisiche Kirchen. Sie waren wohl auch auf Wunsch der jeweiligen Kirchenleitungen von den Planern im Jahr 1955 in die vier projektierten Zentren des neuen Stadtteils verlegt worden und waren in ihren Anfängen sicher auch gut von Gläubigen angenommen.
Mit der zunehmenden Säkularisierung und dem gleichzeitig einhergehenden Bedeutungsverlust von Kirche überhaupt, tun sich mittlerweile Leerräume auf. Der Gottesdienstbesuch hat wie andernorts enorm nachgelassen; die Gemeindezentren, wo sich einst Jugendgruppen trafen, Verbände Sitzungen hielten und gemeindliches Leben pulsierte, sind teilweise verwaist.
Bleiben oder weichen
Inzwischen lautet die Devise sogar: bleiben oder weichen. Letzteres wollen die wenigsten Langwasserianer. Ihre Kirchen sind Teil ihrer religiösen Biografie und auch Teil der Geschichte des ganzen Stadtteils. Weshalb sich durchaus auch kirchlich nicht Gebundene Gedanken um ihren Fortbestand machen.
Ilona Kühn fühlt sich deshalb in Langwasser willkommen. Sie ist bis Mitte 2024 Leiterin des Zukunftsprojekts „Ökumenisch in Langwasser“, das zum größten Teil von der Evangelischen Landeskirche mit Unterstützung der Diözese Eichstätt finanziert wird. Zur Diözese gehören die vier katholischen Pfarreien Heiligste Dreifaltigkeit, Maximilian Kolbe, Menschwerdung Christi und Zum Guten Hirten. Aufgrund des eklatanten Priestermangels haben sie sich längst schon zu einen Pfarrverband mit einem gemeinsamen Büro vereinigt.
Zusammenarbeit vertreten
Ein gemeinsames Büro haben aber auch die vier evangelischen Langwassergemeinden Paul-Gerhardt-Kirche, Passionskirche, Dietrich-Bonhoeffer-Kirche und Martin-Niemöller-Kirche. Noch sind diese Gemeinden personell relativ gut ausgestattet, doch aufgrund des Zukunfts- und Einsparprogramms Profil und Konzentration (PuK) werden wohl weitere Stabstellen abgebaut.
Ilona Kühns Aufgabe ist es nun, Kooperationen anzubahnen, Synergien auszuloten und die Zusammenarbeit nach innen und außen zu vertreten. Dabei erfährt sie viel Unterstützung, und wenn es haken sollte, spricht sie nicht davon. Erfahrungsgemäß geht es aber bei solchen Prozessen um Erbhöfe. Das weiß auch das sechsköpfige Projektteam mit je drei evangelischen und katholischen Mitgliedern. Zusammen mit Ilona Kühn, die bayernweit das Reformationsjubiläum 2017 mitorganisiert hat, planen sie behutsam die nächsten Schritte. Die Projektleiterin hat in den ersten Monaten ihres Dienstes die Schwerpunkte der Gemeinden, die Gremien und ihre unterschiedliche Ausrichtung studiert.
Neue Nutzung
Achtsam will man nun darangehen, auszuloten, was mit den Kirchengebäuden geschehen könnte. Denn eines ist klar, Abgerissen sollen sie nicht werden und letztlich bleibt auch eine entweihte Kirche eine Kirche. Diskutiert werden Umnutzungen zu Kulturstandorten oder etwa die Überlassung an orthodoxe Gemeinden.
Neue Simultankirchen?
Zur Disposition stehen auch die Gemeindezentren. Angedacht ist die konfessionsverbindende Bündelung von Jugend- oder Seniorenarbeit. Gottesdienste könnten in sogenannten Simultankirchen angeboten werden. Das heißt: eine Kirche, in der beide Konfessionen ihre Gottesdienste feiern. In der Oberpfalz hatte der damalige Pfalzgraf nach dem 30-jährigen Krieg die Nutzung von Simultankirchen verfügt, was oft zu konfessionellen
Verwerfungen führte. Heute, so hofft man in Langwassser, könnte der Simultangedanke die Ökumene beflügeln.
Bis dahin bleibt Ilona Kühn noch viel zu tun. Rückenwind verspricht sie sich von der Gesprächsreihe „Fokus Ökumene“. Am 27. September spricht in diesem Zusammenhang Hubertus Schönemann (Erfurt) zum Thema „Kirche in Veränderung – Formate, Formen, Gemeindeleben 2040“ .
Langwasser 2040
Wie das kirchliche Leben in Langwasser 2040 aussehen wird, lässt sich noch nicht absehen. Nur soviel: dass es weitergehen soll – mit neuer Kraft und neuen Ideen; mit weniger Mitteln zwar, doch umso mehr Kreativität. Ilona Kühn hat in diesem Zusammenhang einen bescheidenen persönlichen Wunsch: Einmal mit ihrer Bassklarinette unter der Zeltkuppel der Kirche zum Guten Hirten spielen. Die Akkustik soll großartig sein.
Raimund Kirch
Unser Autor ist zertifizierter Kirchenführer, Mitglied im Herausgeberbeirat des Sonntagsblatts und ehemaliger Chefredakteur der Nürnberger Zeitung/Nordbayerische Zeitung (NZ).