Hebamme und Hexe, Handwerk und Handel

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Handprothesen, Hebammenkoffer Elise Dudeks im Germanischen Nationalmuseum. Karikatur „Der Aerzte-Krieg des 19. Jahrhunderts“ auf dem Rücken der Patienten. Fotos: GNM + HDBG (Welcome Collection/Public Domain Mark)

Nürnberger Museum und Heft „Gsund samma“ zeigen medizinische Entwicklungslinien

Sie machte etwas her: eine kunstvoll gestaltete Armprothese aus dem Jahr 1716: Als sogenannte Sonntagshand, deren Gelenke beweglich und einzeln feststellbar sind, war sie mechanisch und handwerklich auf der Höhe ihrer Zeit. 

Die Heiler waren auch früher nicht von gestern. Sie nutzten die Neuerungen ihrer Zeit zur Heilung und um ihre Kompetenzen gebührend zu zeigen. Schnell zum Notfall – und alles dabei! Doppelt so schnell wie zu Fuß war das Laufrad, als Vorläufer des Fahrrads. Ein frühes Exemplar zeigt das Germanische Nationalmuseum in der neuen Dauerausstellung „Handwerk und Medizin“. Dies war billiger und unkomplizierter im Unterhalt als Kutschen. Wer sie fuhr, zeigte seine Modernität.

Immer alles im Griff und mit dabei hatte die Hebamme Elise Dudek. Reich gefüllt war ihr Hebammenkoffer. Auch auf der Flucht im Jahr 1945 konnte sie so bei Geburten helfen. Sie benötigte wohl keine verkaufsfördernde Schau. Sie half mit ihrem Wissen um die richtigen Handgriffe. Ihre Zangen und Werkzeuge erscheinen nur in der Form altertümlich – selbst, wenn eine moderne Saugglocke in der Nachbarvitrine wohl für den Säugling schonender war. Angesichts moderner technischer Hilfsmittel gerät das handwerkliche Können einer Hebamme heute mitunter in den Hintergrund. 

Hexenkind als Heilerin

Hingegen war die „Doktorbäuerin“ Amalie Hohenester, geb. Nonnenmacher, (1826/27–1878) besonders erfolgreich im Gesundheitsgewerbe. Als Gastwirtin, Apothekerin und Heilerin erschuf sie das Kurbad Mariabrunn. Ihre Mutter sah sich noch mit dem Vorwurf konfrontiert, eine Hexe zu sein – Amalie war erfolgreiche Geschäftsfrau. Ihr autoritäres Auftreten und ihre geschickte Beobachtungsgabe bis hin zum Ausspionieren boten ihr die Grundlagen zu manchem spektakulären Heilungserfolg. Offenbar hatte sie aber einige naturheilkundliche Kenntnisse.

Einen umfassenden Überblick über Zusammenhänge von Heil und Heilung, aufopferungsvollem Dienst für die Kranken und deren unternehmerische Ausbeutung leistet das Themenheft „Gsund samma“ des Hauses der Bayerischen Geschichte (HDBG) – vor dem Hintergrund der aktuellen Gesundheitskrise.

Wie ging man in alten Zeiten in Bayern mit der Gesundheit um? Wie konnten Kranke Heilung erfahren? Durch Wallfahrten, Klostermedizin und den aufopferungsvollen Dienst von Diakonissen und Spitalschwestern? Durch Homöopathie oder Scharfrichter mit ihren anatomischen Kenntnissen? Durch flächendeckende Impfungen oder moderne Krankenhäuser in Bayern?

Der neue, nun zehnte Band des HDBG-Magazins wirft Schlaglichter auf Methoden, Einrichtungen, Strömungen und Persönlichkeiten der Heilkunst in Bayern vom Mittelalter bis ins Heute. Nun sind die Sanierung von Kliniken, die Neuordnung der medizinischen Versorgung und gerechte Bezahlung von Pflegenden Mammutaufgaben. Welche Einblicke bietet die Vergangenheit?

Schon vor Jahrhunderten regelten die traditionellen „Ehaftbriefe“ sozialverträgliche Bezahlung für den Bader bei seinem heilenden Handeln, das auch für Arme erschwinglich blieb. Manche Ärzte behandelten sie umsonst. Die Lebensreformbewegung um 1900 versuchte ungesunde Lebensverhältnisse zu überwinden – versank jedoch teils in elitären, esoterischen manchmal gar völkischen Tendenzen. 

Doch selbst solide Apotheker waren Kaufleute und auf eine Verkaufsschau zur Verbesserung ihres Umsatzes angewiesen. Das zeigt das Germanische Nationalmuseum in gleich zwei historische voll eingerichtete Apotheken. Sie kannten sich mehr noch als zuvor die Klosterheilkunde bei der Dosierung und Anwendung von Heilkräutern und helfenden chemischen Substanzen aus. 

Dann wieder fanden sich Kuriositäten in einer Apotheke wie Nashornpulver, das heilen und stärken sollte. Leider nicht nur gestern, sondern auch heute etwa in der chinesischen Medizin – ein Todesurteil für viele Panzertiere. Dagegen ist ein Alraunenmännchen, geschnitzt aus der Wurzel der Pflanze, fast harmlos. Offenbar war diese mystische Aura für heilende Geschäfte hilfreich.

Den Fortschritt im Blick

Noch vor wenigen Jahrhunderten blickten Chirurgen auf eine handwerkliche Ausbildung zurück. Studierte Ärzte machten sich nur selten die Hände schmutzig. Doch chirurgisches Handwerkzeug aus der frühen Neuzeit, das das Germanische Nationalmuseum ebenfalls ausstellt, lässt uns teilweise schaudern: Zangen benötigte der Schmied, um glühendes Eisen ins Feuer zu halten – der Dentist, um einen faulen Zahn zu entfernen. Mit Sägen kürzte der Zimmermann Balken, der Chirurg schnitt Knochen und Gliedmaßen. Beide Berufsgruppen arbeiteten lange mit ähnlichen Werkzeugen.

Die enge Verzahnung handwerklichen und medizinischen Neuerungen ist dem Museum ein Anliegen. So auch beim chirurgischen Wundnahtmuster aus der Zeit vor 1750. Eingestickt auf ein Lammleder gibt es fast wie in der Textilverarbeitung Anleitung für den Arzt, wie er je nach Gliedmaßen und Verletzung eine Wunde nähen soll. Nur fünf solcher Muster haben sich weltweit erhalten, drei davon befinden sich im Germanischen Nationalmuseum. Allerdings haben wohl viele Patienten damals das kunstvolle Zusammenflicken mangels Desinfektion leider meist nicht überstanden. 

Inzwischen gehen auch längst moderne Handprothesen für Kleinkinder auf Bedürfnisse der Jüngsten ein. Schnell lassen sich Aufsätze zum Malen, Ballfangen oder zum Essen austauschen. 

Doch warnt auch aktuell Dr. Werner Bartens, Mediziner und Journalist bei der „Süddeutschen“, im HDBG-Magazin vor der Dominanz von „Kaufleuten“ und des „Showbusiness“ gegenüber Ärzten im heutigen Gesundheitswesen. Es gilt immer das Gleichgewicht zu halten zwischen Profitstreben und Selbstausbeutung. 

 

Der neue Ausstellungsteil im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg lässt sich beim Museumsbesuch dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20.30 Uhr besichtigen. Mehr: https://www.gnm.de/ oder Tel. 0911/1331-0 (Zentrale).

Das HDBG-Magazin „Gsund samma“, ISBN 978-3-937974-57-6, 114 Seiten, 10 Euro gibt es im Museumsladen in Regensburg, online unter https://www.hdbg.de/laden und https://www.verlag-pustet.de.