Der Herzog und der Heilige

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Gedächtnisbuch des Salzburger Bischofs Virgil um 784 mit Namen der bayerischen Herzöge und Bischöfe, um sie in das Gebet aufzunehmen. Monumentalkreuz um 774 für den Salzburger Dom. Fotos: Borée
Gedächtnisbuch des Salzburger Bischofs Virgil um 784 mit Namen der bayerischen Herzöge und Bischöfe, um sie in das Gebet aufzunehmen. Monumentalkreuz um 774 für den Salzburger Dom. Fotos: Borée

Freisinger Landesausstellung setzt bayerische Geschichte im 8. Jahrhundert in Szene

Die Kirche war verdorben, die politische Gewalt feige und unzuverlässig. So lassen sich die Berichte über Bayern vor 1.300 Jahren und den Jahrzehnten danach zusammenfassen. In die Welt des turbulenten und krisenhaften 8. Jahrhunderts entführt uns die aktuelle bayerische Landesausstellung, die nun bis zum 3. November im Freisinger Diözesanmuseum stattfindet. 

Eine „Meistererzählung“ schuf um 791 ein heute unbekannter Verfasser der „Annales Regni Francorum“. Schließlich war zu begründen, warum Karl der Große kurz zuvor an seiner Ostgrenze einmal dringend durchgreifen musste. Die „Annales“ waren höchst erfolgreich: Mehr als ein Dutzend Handschriften haben sich bis heute erhalten – was für eine fast unvorstellbare Verbreitung des Werkes damals spricht.

Hochverrat war der Vorwurf gegenüber dem bayerischen Herzog Tassilo, der Karl dem Großen im Weg stand. Außerdem war er ein Skandalkind, ein unerwünschter Cousin des Karolingers: Denn Tassilos Vater Odilo war um 740 vor einem bayerischen Aufstand nach Franken geflohen. Hiltrud, eine Tochter Karl Martells und somit eine Tante Karls des Großen folgte ihm zurück nach Osten: Dort gebar sie ihren Sohn Tassilo. 

Angeblich habe Tassilo bereits als kleiner Junge nach dem frühen Tod des Vaters gegenüber den Franken den Lehnseid geleistet. Dennoch soll Tassilo einige Jahre später das fränkische Heer ohne Erlaubnis verlassen und sich damit der Heeresflucht schuldig gemacht haben. 787 musste er sich Karl dem Großen unterwerfen. Ein Hofgericht befand ihn ein Jahr später für schuldig, seinen Treueeid gebrochen zu haben. Das Todesurteil wandelte Karl huldvoll in lebenslange Klosterhaft für Tassilo und seine Familie um. Wann und wo er starb, ist unbekannt. Wahrscheinlich lebte er noch 794. 

Da ging es Tassilo ähnlich wie seinem Schwiegervater, dem Langobardenkönig Desiderius in Norditalien, dessen Tochter Liutpirc er 765 geheiratet hatte: Desiderius war von Karl bereits 774 absetzt worden und verblieb ebenfalls bis zu seinem Tod um das Jahr 786 in Gefangenschaft. 

Dabei war Tassilo viel weniger aggressiv als sein Cousin Karl. Er kümmerte sich eher intensiv um den Landesausbau des wohl noch dünn besiedelten Landes. Dazu gründete er viele Klöster, etwa Kremsmünster, denn sein Herrschaftsgebiet erstreckte sich weit ins heutige Österreich hinein. Daneben war Tassilo ein Förderer der Kunst. 

Tassilos Gebiete im heutigen Südbayern und westlichem Österreich wurden zwar schon spätestens zwischen 550 und 650 christianisiert – wobei in den antiken Städten wie Augsburg und Regensburg wohl schon zur Römerzeit Christen lebten. Es gab aber lange ein Nebeneinander zu den alten heidnischen und magischen Riten. Angeblich soll noch Bischof Korbinian einer Zauberin die Geschenke für ihre Dienste abgenommen und an die Armen verteilt haben. Auch bei Bestattungen lässt sich für Archäologen nicht immer eindeutig zuordnen, ob der Tote Christ war. Da finden sich manchmal ambivalente Beigaben. 

Kampf um die Kirche

Es ist aber auch eine Zeit, in der die Kirche vor Ort ihre endgültige Gestalt gewann. Organisierte Bistumsgründungen und enge Verflechtungen mit dem Frankenreich erfolgten später, wohl Ende des 7. Jahrhunderts. Neue Missionare wandten sich gegen den Verfall der Sitten. 

Dabei schien es schon zwei Generationen vor Tassilo dem Herzog Theodo († um 717), wichtig, noch einmal Missionsbischöfe an die bedeutendsten Orte Regensburg (Erhard und später Emmeran), Passau, Salzburg (Rupert) und Freising zu berufen. Sie wurden meist schnell zu Heiligen, schließlich sollten sie weiter vorbildhaft wirken. Wer den Zugriff auf Bischofssitze und Klöster hatte, konnte durch sie seine Herrschaftsgewalt im Land umsetzen.

Auch Korbinian, ein weiterer Held der aktuellen Ausstellung, kam als Bischof nach Freising. Er erblickte in Westfranken unweit von Paris zwischen 670 und 680 das Licht der Welt und lebte zunächst als Eremit unweit seines Geburtsorts. 709 oder 710 pilgerte er nach Rom. Angeblich zähmte er unterwegs gar einen aggressiven Bären. Da forderte ihn der Papst zur Mission in Gallien auf. 

Nach vielen Reisen ließ er sich um das Jahr 724 in Freising nieder. Seit 1724 wird alle hundert Jahre die angeblich überlieferte Ankunft Korbinians dort tausend Jahre zuvor gefeiert – daher dies Datum auch für die aktuelle Ausstellung. Der Ort wurde durch sein Wirken zu einem bedeutenden geistlichen Zentrum. 

Auch Korbinian achtete streng auf den reinen Glauben und Sitten. Da warf er seinem bayerischen Herzog Grimoald die nach damaligem Kirchenrecht verbotene Eheschließung mit der Frau seines verstorbenen Bruders vor. Das war zu viel. Er musste Bayern verlassen. Erst nach dem Tod des Herzogs konnte er weiter in Freising wirken, wollte aber in der Burg Mais bestattet werden. 

Dann trat Bonifatius auf († 739): Er mischte noch einmal im Auftrag Odilos, des Vaters Tassilos, bei der Neuorganisation der bayerischen Bistümer mit – bevor er sein Augenmerk auf Würzburg, Fulda und Erfurt richtete. Nur der Passauer Bischof Vivilo verblieb in seinem Amt. Auf Salzburg hatte wohl Bonifatius selbst ein Auge geworfen, doch dort erlangte Virgil (lange amtierend von 746/7–784) die Bischofswürde. Er baute seinen Ort zum Zentrum der Buchmalerei und Goldschmiedekunst. Viele Kunstschätze, die nun auch in Freising ausgestellt sind, wurden wohl zu seiner Zeit in Salzburg gefertigt – und untermalten Tassilos Herrschaft prunkvoll. 

Auch in Freising kümmerte sich schon Korbinians dritter Nachfolger, Bischof Arbeo (amtierend 764–783) um das Gedenken seines Helden. Er verfasste eine Heiligenvita, deren erste überlieferte Fassung aber erst später fassbar ist. Er ließ die Gebeine Korbinians wieder feierlich in den Freisinger Dom überführen. An deren feierlichem Einzug Ende Februar 769 nahm auch Herzog Tassilo III. teil – da konnte er noch nichts von seinem Schicksal zwei Jahrzehnte später ahnen. Karls Interessenspolitik kann uns da durchaus aktuell vorkommen.

Landesausstellung „Tassilo, Korbinian und der Bär“ täglich von 9 bis 18 Uhr, Eintrittspreis regulär zu 12 Euro, Jugendliche bis 18 haben freien Eintritt. Mehr online: https://www.hdbg.de. Katalog mit 256 Seiten: Er erscheint interessanter als die Schau, die nicht so viele Originale aus der Zeit Korbinians zeigen kann. Spannend vor allem Objekte aus der „Schatzkammer“ Tassilos sowie der Film am Ende von und mit Christoph Süß. Gleichzeitig Rundgang mit Schautafeln „724. Männer. Macht. Geschichten“. Täglich 10 bis 17 Uhr, sonn- und feiertags ab 12 Uhr, nicht barrierefrei, dafür ohne Eintritt.