Gerade in der Schwäche Gott entdecken

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt zur Schwäche des Paulus

Mir ist gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. nd er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne. 

2. Korinther 12, 7–9

Die Frau am Mikrofon ist reden gewohnt. Sie war Vorsitzende einer großen deutschen Volkspartei, Ministerpräsidentin, Bundesministerin. Man kann staunen, was sie alles geschafft hat. Heute ist es aber anders. Es geht heute nicht um ihre Verdienste, es geht um ihre Niederlagen. Es ist der Deutsche Evangelische Kirchentag 2023 und in St. Paul/Fürth gibt es eine Veranstaltung, die einen etwas rauen Namen trägt: FuckUp-Night. Es ist die Nacht des Scheiterns. Und dann erzählt sie davon, wie es ist, wenn man vor aller Augen Dinge in den Sand setzt und die Erwartungen anderer nicht erfüllen kann. Sie erzählt es so, dass das Publikum förmlich spürt: Das muss weh tun.

Auch Paulus spricht über seine Schwächen und er macht das schonungslos. Einen „Pfahl im Fleisch“ hat er. Es scheint eine Krankheit gewesen zu sein, die schmerzhaft war und die ihm immer wieder zu schaffen gemacht hat. Dabei war er völlig durchdrungen von seiner Berufung. Er setzte alles daran, das zu erreichen, wozu er sich von Christus beauftragt wusste. Wie schwer wird es gewesen sein, dann solche Einschränkungen anzuerkennen? Und dann auch noch zu erleben, dass alle seine Gebete um Besserung offensichtlich ins Leere liefen. Nein, Gott hat ihn nicht geheilt. Paulus ist und bleibt unvollkommen. Damit ist er aber nicht allein.

Die großen Helden der Bibel sind immer Menschen mit Makel. Mose ist nicht besonders redegewandt und so jähzornig, dass er die Tafeln der Gebote zerschmettert. König David verschuldet den Tod eines Menschen, bloß weil er selbst sich in dessen Frau verliebt hat. Die Liste lässt sich verlängern. Und einer, von dem wir keine Schuld kennen, stirbt wie ein Verbrecher. Jesus Christus wird gekreuzigt. Auf ihn zeigen die Menschen mit dem Finger und sehen in ihm einen Gescheiterten, einen Versager. Die Helden der Bibel haben Schwächen, sie sind immer auch gebrochene Menschen.

Die Geschichte des Volkes Gottes ist eine Geschichte, die immer wieder Exil, Niedergang und Leid kennt – bis zum Stachel im Fleisch, von dem Paulus schreibt. Der Apostel weiß aber auch: Erst in der Schwäche findet der Mensch zu wahrer Größe. Erst wenn er seine Grenzen sieht, erkennt er, dass Gottes Kraft bei ihm wirkt. Seine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.

Die Frau am Rednerpult wirkt so, als hätte sie das verstanden. Sie verleugnet nicht den Schmerz der eigenen Niederlagen. Aber sie scheint sie neu eingeordnet zu haben. Sie hat sie akzeptiert und sie hat den Trost darin entdeckt, dass sie auch am tiefsten Punkt nicht allein war. Sie war umgeben von einem Gott, der nicht nach Siegen fragt, sondern gnädig liebt.

Carsten Brall,  Pfarrer in Bayreuth