Ein Rebell als Prophet?

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Erich Mühsam in den 1920-er Jahren. Sänger Matthias Klösel und Pianist Tom Gratza interpretierten die Texte des Rebellen musikalisch im Garten des RothenburgMuseums. Fotos: epd/F und Borée
Erich Mühsam in den 1920-er Jahren. Sänger Matthias Klösel und Pianist Tom Gratza interpretierten die Texte des Rebellen musikalisch im Garten des RothenburgMuseums. Fotos: epd/F und Borée

Lebenslinien: Vor 90 Jahren ermordeten die Nazis Erich Mühsam – eine Erinnerungsreise

War er nicht ein unchristlicher Revoluzzer, der an den gesellschaftlichen Grundfesten rüttelte? Wie kommt es nur, dass ausgerechnet an einem lauen Sommerabend im beschaulichen Klostergarten des RothenburgMuseums Werke von Erich Mühsam (1878–1934) zu Wort kamen? Jude, Anarchist, Pazifist und Mitglied der Münchner Räterepublik – alle diese Zuschreibungen für den Dichter und Rebellen waren sicher keine Empfehlungen für die Nazis. Anfang 1933 wurde er verhaftet und vor 90 Jahren, am 10. Juli 1934, im Konzentrationslager Oranienburg ermordet.

Eine nachdenkenswerte Auswahl aus seinem Werk stellten der Schauspieler und Sänger Matthias Klösel sowie der Pianist Tom Gratza vor. Sie machten in ihrem schwungsvollen Zusammenspiel anschaulich, dass viele seiner Werke in der Tradition Heinrich Heines stehen, der scheinbar leichthin spöttelte, aber oft tiefere Wahrheiten aussprach. Vergleichbar sind Mühsams Werke auch mit dem ungleich bekannteren Zeitgenossen Kurt Tucholsky, von dem das Duo auch die Ballade „Der Kompromiss“ zu Gehör brachte.

Bereits als Gymnasiast in Lübeck eckte Erich Mühsam an: Nach der Mittleren Reife flog er aus politischen Gründen von der Schule. Bald schon finden wir ihn als Redakteur bei anarchistischen Zeitschriften in Berlin. Gleichzeitig lässt sich sein Leben als Pilgerschaft verstehen. Er dichtete: „Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt; / der Feuer sieht und weiß nicht, wo es brennt; … / Ich bin ein Träumer, den ein Lichtschein narrt; / der in dem Sonnenstrahl nach Golde scharrt; / der das Erwachen flieht, auf das er harrt. / Ich bin ein Stern, der seinen Gott erhellt; / der seinen Glanz in dunkle Seelen stellt; … / Wo ist, der meines Wesens Namen nennt? / Der meine Welt von meiner Sehnsucht trennt? / Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt.“

Wohin führte ihn seine Sehnsucht? Von 1904 bis 1908 war er ganz real unermüdlich unterwegs zwischen Wien und Paris, München und Norditalien. Auch den Tessiner Monte Verità ließ er nicht aus – zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Treffpunkt von Lebensreformern und Vegetariern, Pazifisten und Künstlern. Doch sprach ihn diese Art der Sinnsuche nicht an, er verspottete sie gar mit Versen, die auch die Künstler im Klostergarten in ihrem Repertoire hatten. Mühsam zog nach München, wo er sich sozial engagierte sowie mit vielen Dichtern befreundet war. Er schrieb für Kabaretts und Zeitschriften. 1915 heiratete er Kreszentia Elfinger.

Kaum verwunderlich – dem Ersten Weltkrieg konnte er nichts abgewinnen. In seinem „Kriegslied“ heißt es: „Der Schweiß tropft in den Grabenrand, / das Blut tropft in den Straßenrand, / mit Gott für König und Vaterland.“ Da er sich weigerte, am „Vaterländischen Hilfsdienst“ teilzunehmen, wurde er noch 1918 verhaftet. Doch bereits bei der Novemberrevolution und nach der Ermordung Kurt Eisners engagierte er sich an vorderster Front für eine bayerische Räterepublik – und wurde bald festgenommen. 

Noch aus der Festung Ansbach heraus setzte er sich für ein Bündnis zwischen Anarchisten und Kommunisten ein und rief zur Solidarität mit der Russischen Revolution auf. Nach fünf Jahren Haft, meist zusammen mit weiteren Inhaftierten der Räterepublik, kam er Ende 1924 frei. Er ging nach Berlin und publizierte unermüdlich gegen die Ungerechtigkeit in der Weimarer Republik. 

In der Ballade „Seenot“, die auch im RothenburgMuseum rezitiert wurde, beschreibt er, wie das Habe der Matrosen über Bord geht, um das untergehende Schiff zu erleichtern, dann die armen Passagiere und viele Matrosen – doch das Gold und Getreide der reichen Feiernden wird ebenso wenig angerührt wie ihr Tanz auf dem Vulkan. „Der Dampfer ‚Deutschland‘ ist in Not. / Wird ihn die Flut vernichten? / Sprengt ihn sein morscher Kessel tot? / Stürmt ihn die Wut des Volks im Boot? – / Die Zeitung wird’s berichten“, so endet sie.

Sicher sympathisierte Mühsam auch mit den Kommunisten, doch keinesfalls mit deren zunehmender Parteidisziplin. 1925 wollte er wohl in die Sowjetunion reisen, doch die KPD-Führung verhindert dies. Immer weniger konnte sie ihm Heimat bieten. 1926 war er bereits förmlich aus dem Judentum ausgetreten. 

War er ein Rebell, der sich einfach nicht unterordnen konnte? Gleichzeitig engagierte er sich gegen verkrustete Lebensverhältnisse. Er spürte fast prophetisch die Bedrohung seiner Heimat durch die Nazis, doch all seine Gedichte konnten sie nicht verhindern. Was lässt sich weiter von ihm berichten? Schon während des Reichstagsbrandes am 28. Februar 1933 setzten ihn die Nazis fest. Im Konzentrationslager Oranienburg wurde er oft unter Druck gesetzt, sich selbst umzubringen. Er erklärte noch in der Nacht vor seinem Tod, dies werde er nie tun. Auch seine Gedichte sind da deutlich. Seine Witwe floh nach Russland, kam dort aber selbst in Gefangenenlager und wurde nach Stalins Tod in die DDR entlassen und starb da 1962.

„Mensch sein“ und menschlich bleiben – diese Botschaft Mühsams bleibt ebenso bestehen wie seine Sehnsucht nach einem „Glanz in dunkle Seelen“. Er lehnte konventionelle Formen der Religion ab, blieb aber unterwegs als „ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt“ – dazu bot der Klostergarten eine angemessene Kulisse.