Der Allmächtige auch als Hirte und Gärtner

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Hirte und Herde. Foto: Kraus
Hirte und Herde. Foto: Kraus

Die Verheißungen an Zion im Deuterojesaja als hoffnungsvolles Beispiel der Führung

Mit einem gewaltigen Hymnus beginnt der Zweite Jesaja seinen Text: „Tröstet, tröstet mein Volk (Jesaja 40, 1), so hebt er an. Schließlich hat der Herr gerade erst den allmächtigen Perserkönig Kyros zu seinem Werkzeug gemacht: Um 539 vor Christus besiegte er die Babylonier. Die Verbannten aus Israel konnten zurückkehren. Grund genug für einen Ruck, der durch das Volk ging? Weit gefehlt: Es gab zu wenig Rückkehrwillige, der Wiederaufbau dümpelte dahin. Da wollte der Verfasser dieser Kapitel Gegenakzente setzen. 

Eine biblische-politische Bildung in der Woltersburger Mühle bei Uelzen in der Lüneburger Heide beschäftigte sich in der Woche nach Ostern mit dieser Geschichte über einen Neubeginn gegen alle Hoffnungslosigkeit: Unter deportierten und von Gewalt traumatisierten Menschen wachsen Trostbilder. Diese Texte über Gottes Handeln, über Berufung und Stellvertretung haben die biblische Überlieferung geprägt. In intensiven Diskussionsrunden schlossen sich die Teilnehmenden diese Motive für sich neu auf.

Etwa 200 Jahre nach dem Verfasser der ersten 39 Kapiteln des Jesajabuches hat dieser Prophet, dessen Namen wir nicht kennen und ihn deshalb als Deutero- oder Zweiten Jesaja bezeichnen, die Kapitel 40 bis 55 verfasst. Vielleicht war es auch eine Gruppe von Propheten. Dieser Textteil nennt den Sieg des Kyros als ein Ereignis der Gegenwart – das hilft bei der zeitlichen Einordnung.

War dieser schier allmächtige Perserkönig Kyros vor allem ein Werkzeug des Herrn? „Unser Gott“ (40, 3 und 8) kommt „als Starker“ (10): Doch nicht nur als mächtiger Heerführer. Nein, seine ganze Herrlichkeit zeigt sich darin, dass er „wie ein Hirte, fast wie der junge David vor seiner Berufung, seine Herde führt: „Auf seinem Arm weidet er die Lämmer, und an seiner Brust trägt er sie. Mutterschafe führt er“ (11). 

Wie ein gewaltiger Hymnus wirken diese ersten Verse des zweiten Jesaja: Kein Wunder, dass viele unserer Adventslieder von „Mit Ernst, o Menschenkinder“, bis „Tochter Zion“ hier ihre Bilder gefunden haben: Den Trostruf des Herrn nimmt eine „Stimme“ auf, die ihm einen Weg bahnen will (3–5).

Und das gegen alle Mutlosigkeit derjenigen, für die alles verdorrt und verwelkt (6–8) erscheint.

Die Heilsgeschichte als Beziehungsgeschehen und der Wille Gottes eine bewohnbare Erde zu schaffen sind ein machtvolles Gegengewicht gegen die Idole der Macht. 

Heilswirken statt Chaos

Der Herr hat das Chaos geordnet und seine Heilsgeschichte begonnen. Die Keimzelle der später erstandenen ersten Schöpfungserzählung zeigt sich schon hier: Die Sterne selbst leuchten nur noch auf seinen Weg. Sie sind ebenso wenig Götter wie die wackelnden Kultbilder der Umgebung, auch wenn diese noch so sehr daran festhalten (18–26). 

Die Größe Gottes verschafft gerade den Schwachen Gerechtigkeit und bringt eine vollkommende Umkehrung der Verhältnisse. Und: Das zeigt offenbar nicht nur in Zion Wirkung, sondern der Blick weitet sich auf alle, die Unrecht erlitten haben (Kapitel 41).

Und der Perserkönig selbst ist das Werkzeug dieses sorgsamen Hirten und Gärtners. Zwar ist das Gras verdorrt, aber nun beginnen neue Ströme zu fließen: So gelingt es Gott selbst, wieder das trockene Land zu wässern, um „Wacholder, Ulme und Zypresse“ (41, 19) wachsen zu lassen: Dass braucht zwar einen langen Atem, damit sie wurzeln und gedeihen. Aber kann es dann nicht gelingen, selbst Jerusalem wieder aufzubauen, das zur Einöde geworden ist? Kyros wird zum „Hirten“ (44, 28) und „Gesalbten“ des Herrn (45, 1).

Schließlich gibt es keine weltliche Geschichte außerhalb des Wirkens des Gottes Israels, so der Anspruch. Er selbst bedient sich des neuen persischen Großkönigs. Da gibt es keine zyklische Wiederkehr des Immergleichen mehr wie im früheren mythischen Denken, sondern einen vom Herrn gesetzten Anfang und ein Ende. Das Ziel dieser Entwicklungslinie: Der Schwache soll Recht und Raum bekommen (41, 21–28).

So entstehen einige der schönsten Texte des Zweiten Jesaja: „Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und einen glimmenden Docht löscht er nicht aus (42, 3). Und die Aufforderung: „Singt dem Herrn ein neues Lied“ (42, 10 a – vgl. Psalm 96). Die Welt wird zum Resonanzraum für den Lobgesang Gottes. 

Da tritt erstmals der „Gottesknecht“ auf, der „Erwählte des Herrn“, der diese Verheißungen weitergibt. Trotz aller Mühsal des Neuwerdens finden für die Tauben und Blinden neue Wege (16). Auch wer traumatisiert noch Angst vor der Hoffnung hat, der wird selbst neue Erfahrungen sammeln (18 f.), um die Opferrolle zu überwinden. 

 „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, habe dich bei deinem Namen gerufen“ (43, 1). Was in unseren Traditionen zu einem individuellen Taufspruch geworden ist, ist dem Volk zugesagt, das damit sicher durch Wasserfluten oder Feuersbrünste gelangen kann. 

Das weitet sich schließlich zu Motiven der Exodus-Erfahrung (43, 14–21). Persönliche Erfahrung und Heilsgeschichte verschränken sich ineinander, so wie auch der gesamte Text zwischen Tröstung und der Erfahrung eines zerschmetternden Gottes. Warum muss der Gott Israels mit einem solchen umwälzenden Kriegsherrn gemeinsame Sache machen, um Israel zu befreien und seine Gerechtigkeit in der Welt auszubreiten – während andere Völker unter der erneuten Eroberung leiden müssen? Sind sie nun den Konsequenzen ihres vorherigen Handelns ausgesetzt? Israel versichert sich gemeinsam der Bewahrung (Kapitel 43). Und es soll den Völkern Gerechtigkeit bringen (43, 8–9).

Das Geschehen wird dann in den weiteren „Gottesknechtsliedern“ in den Kapiteln 49 und 53 weiter umkreist. Zwischen diesen bekannten Versen finden sich viele verborgene Schätze. Dafür fast psalmenartige Anrufungen an das Volk, das „aufwachen“ und „hören“ soll. Neues beginnt, selbst für die Tauben (51).

Zwischen dem Herrn und dem Gottesknecht erheben sich offenbar ganz andere Stimmen der Mutlosigkeit aus dem Volk, die zweifeln oder fast aggressiv an dem Status Quo gegen alle Veränderungen festhalten wollen. Kyros selbst scheint wieder verschwunden.

Schwierig aber, welche Verse welcher Stimme zuzurechnen sind. Oder ist gerade dies Absicht? Es scheinen vielstimmige Konflikte auf – schon zur damaligen Zeit! Etwa: Gehen oder bleiben? Und dies, ohne die Konsequenzen zu kennen.Doch dieses Kapitel 49 nimmt nicht nur die Konflikte, sondern auch die Verheißungen vom Anfang auf – es umkreist selbst Motive des 23. Psalms – Gott führt uns zur Weide und zu Wasserquellen sowie auf gangbaren Wegen.