Schmähliches Sterben und erfüllter Tod

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Salvator Rosa: Saul bei der Hexe zu Endor, 1668 (Detail). Bild: akg
Salvator Rosa: Saul bei der Hexe zu Endor, 1668 (Detail). Bild: akg

Wie sich das alte Israel Sterben und Unterwelt vorstellte (1): Richter, Könige und Propheten

Eine Todsünde beging ein verzweifelter König Saul: In aussichtsloser Lage beim Kampf gegen die Philister und nach dem Tode Samuels suchte er die Totenbeschwörerin in En-Dor auf (1. Samuel 28). Und dies, obwohl er selbst diese aus Israel vertrieben hatte. Trotzdem kannte seine Gefolgschaft solch eine weise Frau – in anderen Übersetzungen auch als Hexe bezeichnet – die der König heimlich aufsuchte (28, 7 f.). 

Spannend für uns: Welche Vorstellungen über Tote und die Unterwelt zeigen sich da in einem der älteren Teilen des Ersten Bibelteils? Das Deuteronomistische Geschichtswerk, zu dem die Samuelbücher gehören, entstand kurz nach dem Beginn des Exils um 587 vor Christus. Es erhielt seine Endreaktion wohl rund 150 Jahre später.

Tatsächlich gelang es der weisen Frau, Samuel „heraufsteigen“ zu lassen, so dass Saul mit ihm sprechen konnte: Der tote Richter warf dem König vor, dass „der Herr von dir gewichen ist“ und weissagte ihm: „Morgen wirst du mit deinen Söhnen bei mir sein“ (Verse 15–19). 

Ganz genau ging die Vorhersage nicht in Erfüllung: Erst „am dritten Tag“ nach der Beschwörung in En-Dor siegte David gegen die Amalekiter (1. Sam 30, 1). Danach folgte die Entscheidungsschlacht der Philister gegen Saul (1. Sam 31): Dieser brachte sich dann selbst auf der Flucht nach der Niederlage um – nachdem er schwer verwundet und seine drei Söhne erschlagen waren.

Aufstieg aus der Unterwelt

Samuel schien direkt aus der Unterwelt zu kommen. Sein „Aufstieg“ legt es nahe. Mehr noch: Grab und Unterwelt hängen im altorientalischen Denken miteinander zusammen. Er ließ sich in seiner Gestalt als alter Mann mit Priesterrock (1. Sam 28, 14) sehen und wusste zumindest halbwegs über die Ratschlüsse Gottes Bescheid. Oder geschah dies im Erleben der Frau und des Königs? Dessen Begleiter hatten offenbar nichts gesehen, sondern nur bemerkt, dass ihr Herrscher zu Boden gestürzt war (1. Sam 28, 20–23).

Die Unterwelt, Scheol, aus der selbst so ein bedeutender Gottesmann wie Samuel heraufstieg, wird meist als trostloser Ort bezeichnet, in dem die Toten als Schatten vegetierten. Sie sind nicht nur von den Lebenden, sondern auch von Gott getrennt – was hier aber für Samuel nicht zu gelten scheint.

Hatte nicht Samuels Mutter Hanna in ihrem Lobgesang über die Geburt des Sohnes gejubelt: „Der Herr tötet und macht lebendig, führt ins Totenreich und wieder hinauf“ (1. Sam 2,6)? Das scheint an dieser Stelle für den toten Richter in besonderem Maße zu gelten. Er überwindet gängige Vorstellungen – nicht nur in der merkwürdigen Geschichte von En-Dor, die viele Fragen offen lässt. 

Erst die späten nachexilischen Texte des Alten Testamentes denken eine dauerhafte Gemeinschaft mit Gott auch nach dem Tod. Ansonsten gilt gerade in den älteren Texten des Alten Testamentes: Wer tot ist, ist tot. Eine Auferstehung oder eine Hoffnung auf die Rückkehr ins Paradies gibt es nicht. Lediglich die Aussicht auf das düsteres Totenreich Scheol: ein Land des Vergessens, des Schweigens (Ps 88, 13; Ps 94, 17).

Sauls schmählicher Tod

Saul hingegen erlag dem schrecklichsten aller Tode: gewaltsam und vorzeitig – dazu sogar noch durch die eigene Hand. Seine (männliche) Familie ist mit ihm ausgelöscht, ebenso seine letzte Gefolgschaft. Als die Philister ihn und die toten Söhne fanden, schnitten sie deren Häupter ab und schickten sie überall herum, während die Leichname „an der Mauer von Bet-Schean“ aufgehängt waren (1. Sam 31, 9 ff.).

Dabei war es für die Gestorbenen im alten Israel wichtig, im Kreis der Familie bestattet zu werden (vgl. 2. Kön 22, 20 und öfter), um in Frieden ruhen zu können. Als ein besonderes Unglück galt dagegen der Tod in der Wüste, in der Fremde oder im Krieg. Gerade für die Könige gehörte es sich, dass sie „sich zu den Vätern legten“. Das zeigte ihre herausgehobene Stellung auch im Tod mit Blick auf eine Bestattung im herrschaftlichen Familiengrab (1. Kön 2, 10; 11, 43 und öfter). 

Eine weitere Redewendung „zu den Vorfahren versammelt werden“, die zuerst wohl in einem ganz alten Texteil für die Patriarchen galt, zielte für einen breiteren Bevölkerungskreis auf eine Vereinigung mit den Ahnen im Totenreich (etwa 1. Mose 25, 8; 25, 17). Nichts davon galt für den ersten König: Keine Grablege im Gruben- oder Höhlengrab der Ahnen. Ohne ordentliches Begräbnis drohte ihm selbst das Misslingen seiner Aufnahme in die Unterwelt. 

Nur eine Geste blieb: Nicht Verwandte oder Angehörige von Sauls Heimatstamm Benjamin, sondern die „Leute von Jabesch in Gilead“ in den Randgebieten östlich des Jordans, die von Saul dereinst zu Beginn seiner Herrschaft von den Ammonitern gerettet worden waren (1. Sam 11), kümmerten sich um die geschändeten Körper der Königsfamilie. Sie nahmen sie des Nachts zu sich „und verbrannten sie dort. Und sie nahmen ihre Gebeine und begruben sie unter dem Tamariskenbaum zu Jabesch und fasteten sieben Tage“ (31, 12b und 13). Zumindest ein solches Begräbnis bewahrte Saul und seine Söhne vor dem vollständigen Vergehen. Sie konnten nun wohl ins Totenreich eingehen. 

Insofern wird Samuels Drohung „bei mir sein“ fast zur Verheißung. Ansonsten erhielten sie keines der Totenrituale: weder Kleiderzerreißen (1. Mose 37, 34), Haareraufen oder Haarescheren (Am 8, 10), Bedecken des Hauptes mit Staub oder Asche (Jos 7, 6), Anlegen der Trauerkleider (Klgl 2, 10) oder Ähnliches. 

Erfülltes Sterben

Saul und schon gar nicht seine Söhne hatten irgendwie eine erfüllte Lebenszeit erreicht – weder 70 noch 80 (Ps 90, 10), was damals ohnehin eher ein Wunsch war. Ein unzeitiger, gewaltsamer Tod erschien erschreckender als das Sterben an sich.

Wer aber „alt und lebenssatt“ starb, erschien als gesegnet – wie die Erzväter Abraham und Isaak (1. Mose 25, 8 und 35, 29). Er hatte die Lebenszeit, die ihm zugemessen, aber auch sinnvoll begrenzt war, ausgeschöpft: Das Geschöpf wurde wieder zum Staub der Erde (etwa Ps 104, 29). Es stand im Einklang mit dem Kreislauf von Werden und Vergehen. Der Tod an sich wurde erst in den späten biblischen Weisheitsbüchern zum Problem.

Einer jedoch verstarb nicht, sondern ein „Wettersturm“ entrückte ihn in den Himmel. Der Prophet Elias erscheint als große Ausnahme im Sterben (2. Könige 2). Diese merkwürdige Erzählung bot Raum für die Hoffnung, Elias könne wiederkehren. Gleichzeitig wurde so sein Nachfolger Elisa in besonderer Weise legitimiert, da er dieser Entrückung beiwohnte und noch den Mantel seines Vorgängers erhielt.

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