Das Lutherische Seminar von Gettysburg, die Sklavereifrage und der Bürgerkrieg, Teil 1
Von 1861 bis 1865 tobte in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) ein Bürgerkrieg, in dem es in seinem Lauf auch um die Frage der Sklaverei ging. Vor 160 Jahren fand dabei die größte Schlacht statt, die der amerikanische Kontinent je erlebt hat: Gettysburg. Dabei spielte das Lutherische Seminar in Gettysburg eine große Rolle, sowohl als Ort theologischer und ethischer Diskussionen: Das Lutheran Seminary, sein Leiter Pastor Simon Schmucker und einige seiner Seminaristen waren tonangebend für die Antisklaverei-Bewegung. Und dann kam der Krieg direkt ans Seminar. Die heftigen Kämpfe am ersten Tag der Schlacht spielte sich rund um das Lutherischen Seminar ab. Danach wurde es Ort für Krankenpflege an Verwundeten und Seelsorge an Sterbenden. Anlässlich des 160. Jahres der Schlacht, widmet das Sonntagsblatt eine kleine Serie diesem – bei uns weitgehend unbekannten – Kapitel des Amerikanischen Bürgerkriegs. Die Rassenprobleme von damals sind als Erbe der Sklaverei in anderer Form auch heute noch immer wieder Anlass für Diskussionen und Unruhen. Das Thema ist keineswegs abgeschlossen.
Ist Sklaverei überhaupt akzeptabel? Billigt sie die Bibel? Wer sollte über die Zukunft der Sklaverei entscheiden? In den Jahren vor dem Bürgerkrieg (1861 bis 1865) standen die Amerikaner vor tiefgreifenden Glaubensfragen: Die Debatten fanden in Zeitungen, bei öffentlichen Versammlungen, in örtlichen Gemeinden und am Tisch der Familie beim Abendessen statt.
Einige christliche Gemeinschaften und Kirchen, darunter die Lutheraner konnten sich nicht einigen und spalteten sich in gegnerische Fraktionen auf, von denen jede unerschütterlich an die Wahrheit ihrer Überzeugungen glaubte. Auch innerhalb der Mauern des Lutherischen Seminars in Gettysburg im Bundesstaat Pennsylvania, erforschten Studenten aus dem Norden und dem Süden die unterschiedlichen moralischen und biblischen Sichtweisen über Sklaverei, Freiheit und Rechtsprechung.
Der Gründer des Lutheran Theological Seminary (Lutherisches Theologisches Seminar), Samuel Simon Schmucker war einer der bedeutendsten Kirchenführer Amerikas. Als produktiver Autor der über Theologie und öffentliches Leben schrieb, war er ein ausgesprochener Kritiker der Sklaverei und ein Verfechter eines evangelikalen und „amerikanischen“ Protestantismus. Schmucker war von 1826 bis 1864 Professor und Leiter der Einrichtung.
Die USA und die Sklaverei
Wie kam das System der Sklaverei überhaupt nach Übersee und wieso war es je nach Region so eng mit der Gesellschaft verbunden, dass diese Frage so tiefe Gräben aufwarf? Dienstboten und afrikanische Sklaven waren unter den frühen Siedlern der amerikanischen Kolonien, sowohl im Süden wie auch im Norden. Sie waren zunächst Grundlage für billige Arbeitskraft.
Auch nach der Amerikanischen Revolution und der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika, wurde von einer Mehrheit die Sklavenhaltung nicht in Frage gestellt. Dabei hieß es in der Verfassung von 1787 dass „alle Menschen gleich geschaffen“ sind. Die gleiche Verfassung suchte einen Kompromiss und ermöglichte die Sklaverei und legte fest, dass entlaufene Sklaven ihrem Besitzer zurückgegeben werden mussten.
In den Staaten im Süden lebten sehr viele Menschen von Landwirtschaft. Auf großen Feldern wurden Tabak und Baumwolle angepflanzt. Diese anstrengende Arbeit verrichteten – vor allem auf den großen Plantagen – Sklaven. Von Beginn der Vereinigten Staaten 1789 bis 1850 wurde die Politik von Plantagenbesitzern bestimmt. In diesem Zeitraum wurde kein Präsident aus dem sklavenfreien Norden wiedergewählt, während die Sklavenhalter wie George Washington und Thomas Jefferson, jeweils zwei Amtszeiten lang regierten.
Im Jahr 1860 – ein Jahr vor Ausbruch des Bürgerkrieges lebten in den 15 Südstaaten und einigen Territorien vier Millionen Sklaven. Einer von vier Haushalten im Süden besaß mindestens einen Sklaven. Sklaven hatten keine Rechte, sie konnten nach Belieben als Besitz verkauft, gekauft oder gehandelt werden.
Beginn der Abschaffung
Die Staaten im Norden schafften schon früh nach der Gründung der USA nach und nach die Sklaverei ab. Dafür gab es nicht nur moralische sondern auch ökonomische Gründe. Vermont beendete die Sklaverei sogar schon 1777. Pennsylvania erließ die schrittweise Abschaffung 1780.
Schon in den 1780er Jahren bildeten sich Anti-Sklaverei-Gesellschaften. Religiöse Gemeinschaften wie die Quäker und evangelistische Gruppen in Amerika, aber auch in Europa begannen öffentliche Kampagnen, um sofortige Abschaffung der Sklaverei. Das englische Wort für Befreiung oder Abschaffung, „Abolition“, (von lateinisch abolitio „Abschaffung“, „Aufhebung“) bezeichnete nun eine Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei. Man nannte sie Abolitionisten. Der Begriff war fortan in aller Munde, wenn es um Sklaverei ging. Bei den Gegnern der Sklaverei wurde der Begriff Synonym für eine Bewegung der Hoffnung, bei Befürworten der Sklaverei umschrieb es fortan ein Feindbild.
Leibeigenschaft in Europa
Gespeist aus christlichen wie aus aufklärerischen Überzeugungen wurde die Sklaverei in immer mehr westlichen Ländern abgeschafft, angefangen von Portugal 1761. In Frankreich wurde die Sklaverei während der Französischen Revolution durch den Nationalkonvent 1794 formell abgeschafft; in den französischen Kolonien wurde das Gesetz in der Praxis erst viel später umgesetzt.
Im übrigen Europa, speziell den deutschen Ländern, gab es noch die Leibeigenschaft von Untertanen, ihrem Landbesitzer oder Herren. Mit der Verfassung von 1808 wurde die Leibeigenschaft im Königreich Bayern entschädigungslos beseitigt. Im Königreich Preußen wurde sie nach jahrzehntelanger stufenweiser Beseitigung 1807 durch Erlass des Königs und erst mit Wirkung zum Martinstag 1810 endgültig beendet. In Großbritannien wurde der Verkauf von Sklaven 1807 und die Sklaverei insgesamt erst 1833 verboten.
In Übersee breitete sich indes zwischen 1830 und 1850 der Anti-Sklaverei-Gedanke in den nördlichen Vereinigten Staaten vom Nordosten bis zu den kleinen Farmer-Gemeinden im Mittleren Westen aus. Angeführt wurde die Bewegung durch charismatische Vertreter des Abolitionismus, wie dem radikalen William Lloyd Garrison, Erweckungsprediger Charles Grandison Finney und freien Afrikanern, allen voran Frederick Douglas. Die Amerikanische Anti-Sklaverei-Gesellschaft verbreitete Zeitungen, gedruckte Predigten und Reden um
ihre Botschaft zu verbreiten.
Ein Meilenstein dieser Bewegung wurde durch die Autorin Harriet
Beecher Stowe gelegt, als sie 1851 den Roman „Onkel Toms Hütte“ schrieb, der die brutale Wirklichkeit des Lebens der Sklaven beschrieb. Sie beförderte damit evangelikale Argumente für die gesamte Menschheit, eben auch für die afrikanischstämmigen Amerikaner als christliche Geschwister. Dieses Buch weckte in vielen Lesern rund um den Globus den Gedanken des Abolitionismus und wurde zum Bestseller des Jahrhunderts – nur übertroffen von der Heiligen Schrift.
Samuel Simon Schmucker
Auch in der Lutherischen Kirche Pennsylvanias verbreitete sich der Abolitionismus. Samuel Simon Schmucker war in dieser Zeit einer der bedeutendsten Kirchenführer Amerikas. Er war der Gründer des „Lutheran Theological Seminary“ am Gettysburg Pennsylvania College, der Generalsynode der Lutheran Church und war die treibende Kraft hinter dem Bau des Gebäudes, wie es heute noch steht. Der ausgesprochener Kritiker der Sklaverei war von 1826 bis 1864 Professor und Leiter dieser Einrichtung.
Schmucker wurde 1820 zum Pastor ordiniert und tat zunächst als Gemeindepfarrer in New Market, Virginia, Dienst. Schmucker legte bald Führungsqualitäten an den Tag, und war an der Gründung der General Synode der Lutherischen Kirche beteiligt. Schon 1826 gründete er das Lutherische Theologische Seminar in Gettysburg, das später als ein Schauplatz der Schlacht von Gettysburg 1863 und ein Hospital für verwundete Soldaten beider Seiten bekannt werden sollte.
Schmucker wurde der Leiter der ökumenischen Bewegung „Amerikanischer Lutheranismus“, die eine Reform der Lutherische Lehre befürwortete und eine evangelische Allianz zwischen verschiedenen protestantischen Kirchen anstrebte.
Schmucker verfasste Schriften zur Theologie, Erziehung und Politik, einschließlich der Frage der Sklaverei. Er stand in einem moralischen Dilemma. Denn seine zweite Frau, Mary Catherine Steenbergen, stammte aus Virginia, und erwarb Sklaven.
Er ließ ebenfalls zu, dass farbige Diener nach Gettysburg kamen, um seine Frau im Haushalt zu unterstützen. Allerdings ist auch bekannt, dass er 1845 einen Sklaven in Virginia selbst befreite. Schmucker sprach daher in seinen Schriften von der „relativen Sündhaftigkeit der unfreiwilligen Sklavenhaltung“.
Vom Lutherischen Seminar gingen in der Debatte um die Abschaffung der Sklaverei dennoch entscheidende Impulse aus. Der einflussreichste Seminarist aus Gettysburg wurde Daniel Alexander Payne, ein freigeborener Farbiger aus South Carolina. Er leitete eine Schule von 1811 bis 1835, als neue Gesetze in South Carolina verboten, versklavte und freie afrikanisch-stämmige Amerikaner zu unterrichten. Er bekam einen Studienplatz am Lutherischen Seminar von Gettysburg und studierte zwei Jahre bei Samuel Simon Schmucker. Leider hinderte ihn ein Augenleiden sein Studium zu beenden.
Er nahm daher seine Lehrtätigkeit wieder auf, diesmal in der Afrikanischen Methodistischen Episcopal Kirche (AME), die ihn 1852 zu ihrem Bischof wählte. Als Leiter der AME, unterstützte Bischof Payne die Gründung der Wilberforce Universität in Ohio und wurde ihr Präsident. Gleich nach dem Bürgerkrieg leitete er eine Mission, die frisch befreite Sklaven im Süden unterstütze. Er ermöglichte der AME Gemeinden zwischen South Carolina bis Texas zu gründen. Die Kirche wuchs rasch auf eine Stärke von mehr als 250.000 Mitgliedern an.
In den 1840er Jahren, erreichte die Debatte in Amerikas Kirchen über Moral und Sklaverei einen Höhepunkt. 1844 suspendierte die Methodistische Episcopal Kirche einen Bischof, der ein Sklavenbesitzer wurde, durch den Besitz den seine Ehefrau mitbrachte. Empörte Methodistische Kirchen in den Sklavenhalterstaaten im Süden spalteten sich ab.
Im folgenden Jahr teilte sich die Baptistische Kirche in der Sklavenfrage. Der Konflikt innerhalb anderer großer Konfessionen verschärfte sich. Diese Kirchenspaltungen lösten Schockwellen in der amerikanischen Gesellschaft aus – denn wenn die Kirchen nicht zusammenhalten könnten, wie könnte das dann die Nation?
Auch Amerikas lutherische Kirchen waren in zahlreiche Debatten über Glauben und Freiheit verwickelt. In den 1850er Jahren lehnten neue lutherische Einwanderer die Anpassungen ab, die Samuel Simon Schmucker in das amerikanische Luthertum einführte, da sie im Widerspruch zu ihren bisherigen Überzeugungen standen.
Kirchenspaltung
Die Mitgliedskirchen der General Synode von Schmucker hatten ebenfalls mit Fragen der Religionsreform und der Sklaverei zu kämpfen.
Als der Bürgerkrieg begann, waren sie durch die Sezession geografisch getrennt. Studenten und Absolventen des Gettysburg-Seminars wurden in beide Armeen eingezogen (Lesen Sie die Fortsetzung im Sonntagsblatt). Die lutherischen Kirchen im Süden lösten sich auf und gründeten die Generalsynode in den Konföderierten Staaten von Amerika. Neben Geographie und Politik nannte der Verfassungskonvent von 1863 ausdrücklich auch Meinungsverschiedenheiten über die Sklaverei als Ursache für den Bruch. Das Ende des Krieges beendete die Debatten unter Lutheranern nicht. Im Jahr 1867 spalteten theologische Fragen Schmuckers amerikanische Lutheraner und die konfessionellen Lutheraner in Philadelphia weiter. Die Wiedervereinigung fand erst 1918 statt.