Heilsame Unterbrechung

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Alice (rechts oben), Mattai (rechts unten). Links oben: Heinrich Busch, Pfarrer an der ESG Bayreuth. Links unten: Katarina Freisleder, Pfarrerin an der Ev. Hochschulgemeinde an der TU in München. Screenshot: Busch
Alice (rechts oben), Mattai (rechts unten). Links oben: Heinrich Busch, Pfarrer an der ESG Bayreuth. Links unten: Katarina Freisleder, Pfarrerin an der Ev. Hochschulgemeinde an der TU in München. Screenshot: Busch

 

 

Die Studierenden- und Hochschularbeit bietet vor allem Gemeinschaft

 

In der Serie „Mitten im Leben – Seelsorge und Beratung“ stellen wir je einen Bereich der Seelsorge der Evangelischen Kirche in Bayern vor.

=> Zum letzten Teil

Die Evangelische Studierenden-Arbeit hilft Menschen in einer Orientierungsphase. 

Alice: Sie studiert im dritten Semester Informatik an der TU-München (TUM) in Garching. 

Mattai: Er studiert im zweiten Semester „Kultur und Gesellschaft“ an der Universität Bayreuth.

Heinrich Busch (HB): Pfarrer an der ESG Bayreuth

Katarina Freisleder (KF): Pfarrerin an der EHG TUM

 

HB: Wie seid Ihr zur Ev. Studierenden Gemeinde (ESG) bzw. zur Ev. Hochschulgemeinde (EHG) gekommen?

Mattai: In meinem ersten Semester war durch Corona alles online. Meine Mitbewohnerin hatte gesehen, dass die ESG einen Online-Spieleabend veranstaltet. Dort wurden wir zur Morgenandacht eingeladen und seitdem bin ich regelmäßig in die ESG gegangen.

Alice: Bei uns macht die Uni für die Erstis (Erstsemester) Werbung für alle möglichen studentischen Initiativen. So bin ich auf ein Video der EHG gestoßen. Damals hatte ich einige Zweifel und Sorgen, so dass ich mit Katarina ein Beratungsgespräch vereinbart habe. Sie hat mir Simon, einen Studenten aus der EHG vorgestellt, der mir den Campus gezeigt hat. So bin ich zur EHG gekommen und geblieben.

KF: Was bedeutet es für euch, Teil einer christlichen Gemeinde an der Uni zu sein?

Alice: Für mich sind die Veranstaltungen der EHG fester Bestandteil meiner Woche. Die EHG gibt mir die Möglichkeit, meinen Studienalltag zu unterbrechen, zu entschleunigen und wieder zu realisieren: Die Welt besteht nicht nur aus Lernen und Klausuren!

Mattai: Das geht mir auch so. Dort habe ich einen Bekanntenkreis und gleichzeitig kommen immer neue Leute dazu. Da kann man miteinander quatschen und teilt auch gemeinsame Interessen.

HB: Weshalb lohnt es sich, bei ESG bzw. EHG vorbeizuschauen?

Mattai: Da fällt mir v.a. die Vielfalt ein. Es gibt sehr viele verschiedene Themen im Programm. Gleichzeitig sind so viele Menschen bei der ESG, auch Menschen unterschiedlicher Religion und Herkunft. Das steht aber nicht im Vordergrund, es sind einfach coole Leute da.

Alice: Da kann ich mich nur anschließen. Für mich spielt die Community eine große Rolle. In der EHG werden die Menschen so akzeptiert, wie sie sind. Ich muss mich nicht verstellen. Auch die Offenheit, über verschiedene, teilweise auch tiefe, existentielle Themen zu reden und die eigene Meinung frei aussprechen zu können, finde ich wichtig.

HB: Was sollte in der Studierendenarbeit immer vorkommen?

Mattai: Vielleicht ist eher die spannende Frage, was sollte nicht sein? Eigentlich ist doch die ESG für alle und alles da.

Alice: Es ist mir wichtig, dass in der EHG christliche Werte gelebt und weitergegeben werden. Eines Tages werden wir in verschiedenen Berufen arbeiten. Da wirken wir in die Gesellschaft, indem wir Verantwortung übernehmen und uns für christliche Werte einsetzen. Da machen wir einen Unterschied in die Gesellschaft hinein, im Beruf, in unseren Freundeskreisen und Familien.

KF: Welche Rolle spielt der Glaube für euch?

Alice: Glaube ist für mich Teil des Lebens. Die EHG gibt mir dafür einen Rahmen. Hier kann ich Glauben gemeinsam mit anderen erleben und zusammen spüren. In Momenten, wo ich zweifle oder mir Sorgen mache, kann ich dankbar sein für so vieles in meinem Leben. Das gibt mir eine neue Perspektive. Wenn ich zweifle und mich frage: „Bin ich richtig in dem Studiengang, bin ich gut genug?“, dann finde ich in der EHG Leute, die mir sagen: „Calm down, es ist alles gut. Du musst bei Gott nichts leisten. Du bist schon perfekt, wie du bist!“ Dieser Gedanke hat mir schon viel geholfen.

Mattai: Ich habe für mich noch kein abschließendes Bild, was für mich Glaube ist. Ich verbinde Glauben auf jeden Fall immer mit Gemeinschaft. Egal, wer oder wie man ist, man wird akzeptiert und ich erlebe ein Vertrauen. Das ist für mich ein wichtiger Ausdruck des Glaubens.

KF: Wie nehmt ihr den gesellschaftlichen Wandel wahr? Es ist ja gar nicht mehr so selbstverständlich, zur Kirche zu gehören.

Alice: Viele Menschen setzen Kirche zu stark mit Tradition gleich. Und wenn man nicht bereits in dieser Tradition verwurzelt ist, dann fühlt man sich nicht zugehörig, sondern eher fremd. Glaube ist dabei aber so viel mehr als Tradition, Glaube ist persönlich und lebendig. Und ich kann kommen, wie ich bin.

Mattai: Ich denke, das Problem ist, dass viele Leute denken: „Kirche = sonntags 10 Uhr Gottesdienst“ und dass man irgendwie schon vorab dazugehören muss, sich in der Tradition auskennen sollte. Oft empfinde ich den Gottesdienst dabei als zu frontal. Jemand redet vorne wie beim Frontalunterricht. Manchmal ist es inspirierend – aber auch wenig lebendig. Kirche könnte in noch mehr Bereichen lebendiger werden. Dazu kommt, dass man von vielen guten Angeboten erst erfährt, wenn man bereits in der Kirche oder Gemeinde drin ist. Der Kirchentag ist ein gutes Beispiel: Freunde denken, dass ich da drei Tage lang 24 Stunden sitze und bete. 

HB: Wie könnte denn eine „Kirche der Zukunft“ aussehen?

Gemeinsames Fazit: Sie sollte lebendig und offen und sichtbar sein. Und für alle zugänglich. Die Menschen wollen partizipieren, mitmachen. Kirche sollte noch stärker vermitteln: Du bist herzlich willkommen, auch dann, wenn du nichts glaubst oder dir nicht sicher bist, was du glaubst. Der Grundsatz sollte immer lauten: Du kannst kommen, wie du bist!

Weiterführende Informationen: 

https://handlungsfelder.bayern-evangelisch.de/handlungsfeld4.php