Zuhören, begleiten, aushalten

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Weihnachtsgottesdienst der Polizeiseelsorge in Nürnberg – St. Rupert. Gottesdienste sind ein Teil der Angebote der Polizeiseelsorge.Foto: Privat
Weihnachtsgottesdienst der Polizeiseelsorge in Nürnberg – St. Rupert. Gottesdienste sind ein Teil der Angebote der Polizeiseelsorge. Foto: Privat
 

Einblicke in Seelsorge und Beratung der Polizeiseelsorge

 

In der Serie „Mitten im Leben – Seelsorge und Beratung“ stellen wir je einen Bereich der Seelsorge der Evangelischen Kirche in Bayern vor.

=> Zum letzten Teil

„Was gibt meinem Leben Sinn?“, war die Frage, die über den Einkehrtagen der Polizeiseelsorge auf dem Hesselberg stand. Die Polizistinnen und Polizisten blickten auf die „Säulen des Lebens“: Worauf kann ich mich verlassen, was gibt mir Halt, wo kann ich auftanken? Eine Ein-heit widmeten die Polizeiseelsorgerin und Religionspädagogin Dorothea Jüngst und Polizeiseelsorger Kirchenrat Matthias Herling den geistlichen Kraftquellen. Für einige Polizistinnen und Polizisten, die an solchen Einkehrtagen teilnehmen, ist ihr Glaube eine wichtige Ressource. Andere sind auf der Suche oder offen, sich neu auf spirituelle Erfahrungen einzulassen. Erfahrbar war dies bei der Abschlusseinheit „Beten ohne Worte“. Viele Polizistinnen und Polizisten nutzten die Gelegenheit, sich persönlich segnen zu lassen.

„Die Teilnehmenden sind oftmals davon überrascht, wie schnell und wie intensiv sie miteinander ins Gespräch kommen“, so Herling. „Sie vertrauen auf die vereinbarte Verschwiegenheit und erzählen von den Dingen, die ihnen schwer auf der Seele liegen, die sie schon lange mit sich herumschleppen, die keine andere Person in ihrem Lebensumfeld hören darf oder nicht mehr hören will.“

„Zwei Beobachtungen habe ich gemacht“, so der Kirchenrat: „Diesmal wurde viel geweint. Die von uns angebotenen Einzelgespräche in der Mittagspause oder am Abend wurden gerne angenommen. Bei der Schlußrunde brachten viele der Polizistinnen und Polizisten  zum Ausdruck, wie tröstend, stärkend, ermutigend und wichtig sie die Einkehrtage gerade in dieser Zeit empfunden haben. 

Rüstzeiten, Seminare und Reisen sind ein wichtiges Standbein der
Polizeiseelsorge. „Die geschützte Atmosphäre außerhalb einer Dienststelle bietet der Polizeiseelsorge die Chance, mit Polizeibediensteten vertieft ins Gespräch zu kommen, getreu unserer Überzeugung: Reden hilft!“, erläutert Herling. „Je nach
eigener Neigung laden wir ein, mit uns zu wandern, zu pilgern, über
die Alpen zu radeln oder auf dem Meer zu segeln. Wenn man gemeinsam unterwegs ist, kommt etwas in Bewegung. Eingewoben in den Tageslauf sind Impulse, die zum Innehalten, Weiterdenken, zur Orientierung und zum Gespräch anregen. Diese Angebote richten sich an alle Polizeibediensteten samt Familien.“

Mit „Klausurtagen“ wendet sich die Polizeiseelsorge an Polizistinnen und Polizisten, die einen besonders belastenden Dienst versehen. Für ein bis zwei Tage fahren die Seelsorger mit einem ganzen Kommissariat in ein kirchliches Tagungshaus. Dort kann all das zur Sprache kommen, was die Polizistinnen und Polizisten belastet: im Blick auf die Opfer und ihre Angehörigen, im Blick auf die innerbetrieblichen Abläufe und im Blick auf das, was dieser Dienst bei ihnen selbst auslöst, was sie abends mit nach Hause nehmen, was sie nicht mehr loslässt und sie auch noch in ihrer Freizeit beschäftigt.

Eine besondere Herausforderung in diesem Bereich ist der Dienst in den neu eingerichteten „Arbeitsgruppen Kinderpornografie“. Die Zahlen in diesem Bereich steigen bundesweit und weltweit stark an und hinter jedem der Fälle stehen Opfer und Schicksale.

Vorbereitung auf Stress

Die Polizeiseelsorge ist auch vorbeugend tätig. „Primäre Prävention“  meint Schulungen, bevor man ein belastendes Ereignis erlebt. Die Beamtinnen und Beamten in Ausbildung sollen darauf vorbereitet werden und erlernen, wie man mit Stress und belastenden Einsätzen umgehen kann. Zweimal wird das im Rahmen des Berufsethischen Unterrichts intensiv behandelt: Vor dem großen Praktikum und am Ende der Ausbildung.

Nach dem kleinen und dem großen Praktikum lautet das Motto der Polizeiseelsorge: „Sekundäre Prävention“. Die Beamtinnen und Beamtin erzählen im Rahmen eines von den Seelsorgern moderierten Gesprächs, was sie im Verlauf des Praktikums alles erlebt haben: von ihrer ersten Leiche, den Suiziden, den beim Autounfall verletzten Personen, den weinenden Angehörigen. Sie sind überrascht von der Schattenseite des Lebens: wie viele Menschen ihr Leben nicht mehr im Griff haben, in die Psychiatrie eingewiesen werden müssen, von den Zuständen in den Flüchtlingsunterkünften, von der Zwietracht und der Aggression, mit der Menschen aufeinander losgehen.

„Sekundäre Präventionen“ nach belastenden Ereignissen finden immer häufiger statt. „Zu Hochform sind wir im Nachgang zur Messerattacke am 25. Juni 2021 in Würzburg aufgelaufen“, berichtet Polizeiseelsorger Herling. Ein Attentäter hatte mehrere Menschen niedergestochen, getötet und dabei ein Blutbad angerichtet. „In Zusammenarbeit mit dem Polizeilichen-Sozialen- Dienst (PSD) haben wir mit den Einheiten der Polizei Nachbesprechungen durchgeführt, die in unterschiedlicher Funktion an dem Großeinsatz beteiligt waren.“

Um solchen Anforderungen gewachsen zu sein, absolvieren alle Polizeiseelsorgerinnen und Polizeiseelsorger die fünf Ausbildungsmodule der „Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen“ (SbE). „Anschließend gelten wir offiziell als Psychosoziale Fachkräfte. Diese Ausbildung hilft uns auch bei der ,klassischen‘ Seelsorge: Polizeibedienstete lernen uns kennen, fassen Vertrauen und erzählen, was sie bewegt“, erzählt Herling. Weil die Zeit nicht ausreicht oder wir nicht ungestört sprechen können, machen wir einen Termin aus, um das Gespräch fortzuführen und zu vertiefen. Oder: Menschen rufen uns an in ihrer Not, weil sie uns aus dem Berufsethischen Unterricht kennen, weil sich sonst keiner Zeit für sie nimmt, weil unser Dienst für sie kostenfrei ist, weil sie kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immer noch einen Vertrauensvorschuss entgegenbringen, weil sie auf unsere Verschwiegenheit vertrauen, weil wir im Auftrag des Herrn unterwegs sind oder warum auch immer. evso

Kontakt und Infos:

Kirchenrat Matthias Herling, Landeskirchlicher Beauftragter für Polizeiseelsorge, Kornburger Str. 60, 90469 Nürnberg, Tel.: 09 11 / 48 10-630, Mobil:   01 71 / 33 84 106

E-Mail: 

matthias.herling@polizei.bayern.de oder

polizeiseelsorge-nord@polizei.bayern.de,

https://www.bayerische-polizeiseelsorge.de

Weiterführende Informationen:

https://handlungsfelder.bayern-evangelisch.de/handlungsfeld4.php