Begleitung in Hoffen und Bangen

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Tanja Reger, Klinikseelsorgerin in München
Tanja Reger begleitet als Klinikseelsorgerin in München Kinder und ihre Familien im intensivmedizinischen Bereich. Foto: Privat

 

 

Klinikseelsorgerin begleitet Kinder und ihre Familien im intensivmedizinischen Bereich

In der Serie „Mitten im Leben – Seelsorge und Beratung“ stellen wir je einen Bereich der Seelsorge der Evangelischen Kirche in Bayern vor.

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Tanja Reger begleitet als Klinikseelsorgerin Kinder und ihre Familien im intensivmedizinischen Bereich. In der Serie „Mitten im Leben – Seelsorge und Beratung“ stellen wir je einen Bereich der Seelsorge der Evangelischen Kirche in Bayern vor. Tanja Reger ist seit neun Jahren Seelsorgerin am Klinikum Großhadern. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Seelsorge von Kindern und ihren Familien im intensivmedizinischen Bereich.

Erst war es ein trockener Husten, der den fünfjährigen Julian plagte. Seine Mutter meldete ihn deshalb vom Kindergarten ab und machte sich aber keine weiteren Gedanken. Als der Husten nach ein paar Tagen nicht wegging, ging sie mit ihm zum Kinderarzt. Der erkannte sofort, dass mit dem Herzen des Jungen etwas nicht stimmte. Er überwies ihn in die kardiologische Abteilung des Klinikums Großhadern in München.

Dort war klar, dass Julians Herz schwer geschädigt war und er sofort operiert werden musste. Da das kleine Herz zu schwach war, um den Körper mit Blut zu versorgen, wurde Julian ein „Berlin-heart“ implantiert, ein Kunstherz, das den Blutkreislauf stabilisiert. Inzwischen war auch Julians Vater in der Klinik angekommen. Gemeinsam bangten die Eltern um das Leben ihres Sohnes. Die Mutter konnte die Nacht im Intensivzimmer verbringen, der Vater fand Aufnahme im Gästehaus der Ronald McDonald Stiftung auf dem Gelände der Klinik. 

Am Morgen nach der Operation schaute die evangelische Klinikseelsorgerin Tanja Reger routinemäßig nach den Neuzugängen auf der Kinderintensivstation. Weil die Operation jetzt überstanden war konnte Julians Mutter zum ersten Mal wieder einen klaren Gedanken fassen und war dankbar für den Kontakt. Der Vater blieb nun eine halbe Stunde alleine beim Kind, Tanja Reger ging mit Julians Mutter in die Cafeteria.

Es ist jemand da

„In diesem ersten Gespräch ging es überhaupt nicht um Gott oder den Glauben“, erzählt Tanja Reger. „Es ging darum, dass jemand da ist in einer Situation, die man ja fast nicht bewältigen kann“. Ab diesem ersten Kontakt trafen sich die beiden Frauen regelmäßig. Die Pfarrerin begleitete die Familie im „Hoffen und Bangen zwischen Leben und Tod“, sie war da, als die Eltern informiert wurden, dass Julian ein Spenderherz benötigt, und sie war da, als Julian lebensbedrohliche Komplikationen bekam, als die Entzündungen im Körper nicht mehr weggehen wollten und er mit einer Thrombose kämpfte.

Julian hatte die Rückschläge weggesteckt, aber das lange Warten auf ein Spenderherz wurde für die Familie zu einer großen Herausforderung. „Es ist wie im Gefängnis zu sein, nur dass man das Datum der Entlassung nicht kennt“, umschreibt Tanja Reger das qualvolle Warten. 

Im Seelsorgegespräch kamen Fragen auf wie „Was wollen wir unserem Kind zumuten?“, „Wo kommen wir selbst an die Grenze?“ und „Was werden wir nicht mehr tun?“ Als Julian einen Schlaganfall bekam, schauten sich die Eltern zusammen mit der Seelsorgerin die Kinderpalliativstation an. „Sie haben sich allem gestellt, auch dem möglichen Tod ihres Kindes“, erzählt Tanja Reger. „Die Frage war immer: Wie können wir für unser Kind da sein?“

Das „Da sein“ war auch die wichtigste Klammer zwischen Julians Mutter und der Seelsorgerin. Oft bekam Tanja Reger dann eine Nachricht „Sind Sie da?“ Die Antwort war „Ich bin da“. Sie haben sich getroffen und über das „warum“ gesprochen und wie schwer es ist, zu glauben. Julians Mutter wollte, dass die Pfarrerin für ihren Sohn betet. Und manchmal haben die Frauen in der Kapelle einfach zusammen geschwiegen. „Seelsorge bietet einen Raum“, erzählt Tanja Reger. „Da darf alles gesagt werden, es geht um unmittelbare Zuwendung. Wir schauen, was dieser Mensch in diesem Moment braucht – und wenn wir nur zusammen die Ohnmacht aushalten.“

Rituale helfen

Aber es sind auch schöne Stunden, die Tanja Reger mit der kleinen Familie verbringt. „Wir haben auch zwei Mal Weihnachten gefeiert“, erzählt sie. Rituale findet sie für ihre Seelsorgearbeit sehr wichtig. „Sie helfen uns, etwas auszudrücken, was sich mit Worten nur schwer sagen lässt.“ Tanja Reger hat am Kinderbett ein Schlaflied gesungen oder den einfachen Segen gesprochen: „Sei behütet in allem, was geschieht“. 

Erst nach anderthalb Jahren bekommt Julian ein neues Herz. Die Operation glückt, und auch der Schlaganfall bleibt glücklicherweise ohne Folgen. Julian wird auf die Normalstation verlegt, wo er bald mit seinen Eltern die ersten Ausflüge auf das Klinikgelände machen kann. Mit der Entlassung endet der Kontakt zu Tanja Reger nicht, denn Julian muss ja immer wieder zur Nachkontrolle in die Klinik. An diesen Tagen bekommt die Seelsorgerin eine Nachricht: „Sind Sie da?“ evso

Kontakt und Infos: https://www.evangelische-krankenhausseelsorge-bayern.de

Weiterführende Informationen: 

https://handlungsfelder.bayern-evangelisch.de/handlungsfeld4.php