„Kraftgedanken“ unserer Leser zum 31. März 2020

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Kugelspiel. Foto: Kraus
Kugelspiel. Foto: Kraus

Als Deutscher in Quarantäne in China

Ich reiste am 23. März als einer der letzten Ausländer und noch außerplanmäßig über Tianjin in China ein. Das eigentliche Ziel des wohl mit über 90 Prozent Chinesen besetzten und äußerst vollen Air China-Großraumflugzeuges von Frankfurt am 22.03. lautete Peking, für mich mit Transfer nach Dalian. Nach der Landung in Tianjin mussten alle Passagiere mehr als neun Stunden an Bord warten, bevor sie in kleinen Gruppen aussteigen durften und einzeln erneut registriert und zu Corona befragt wurden. Erst darauf war der Weg zur Passkontrolle und damit nach China frei. Hinter der Passkontrolle warteten wir eine kurze Nacht am Gate auf den Inlandskurzstreckenflug nach Peking.

Dort angekommen, wurden alle Fluggäste aufs Messegelände Peking verbracht, wo die Gepäckausgabe erfolgte und wo die Passagiere wiederum – diesmal getrennt nach Provinzen – für den Anschlussflug oder bei Endziel Peking die Quarantäne in der Hauptstadt sortiert, erfasst und interviewt wurden. In Kleinbussen ging es zurück zum Airport und dort in den Jet nach Dalian.

Für die Strecke Frankfurt -Dalian benötigt man einschließlich Passkontrolle, Warten und Umstieg normalerweise weniger als 18 Stunden, diesmal waren es zweieinhalb Tage. Noch nie In meinem Leben wurde mir so oft in so kurzer Zeit Fieber gemessen – vom Check-in über das Boarding in Frankfurt bis nach der Ankunft in Dalian. Noch nie zuvor interessierte meine Sitzplatznummer die Behörden.         

In Dalian sollte ich als Ausländer in eine 14tägige Hotelquarantäne. Ich bat jedoch um Abschottung in der Wohnung meiner chinesischen Frau und Schwiegereltern, die zuvor ihr Anwesen geräumt hatten, aber Lebensmittel in Fülle hinterlassen hatten. Seit dem 24. Märzreduziert sich das riesige Reich der Mitte für mich auf Zwei-Zimmer/Küche/Bad und den Fensterblicken in die schon immer bewachte Siedlung. Die Wohnungstüre ist elektronisch gesichert. Zweimal täglich muss ich meine Körpertemperatur durchgeben und einmal ein Portraitfoto schicken.

Gestern erkundigte sich ein hoher Bezirksbeamter telefonisch auf Englisch nach meinem Befinden. Wie Gott Elia durch einen Raben mit frischer Nahrung versorgte, bringt mir meine Frau Shimei Wannovius-Ding stets warmes Mittagessen an die Wohnungstüre. Wir sprechen oft per We-Chat im Internet miteinander. Dabei können wir uns sehen.

Inzwischen kappten Air China und sämtliche anderen chinesischen Fluggesellschaften nahezu alle Auslandsverbindungen. China lässt keine Ausländer mehr ins Land – nur Diplomaten und systemrelevante Experten. Statt „Hausarrest” wird nun jeder, der aus dem Ausland eintrifft, in kostenpflichtige,zudem sehr teure Isolierstationen/Hotels gezwungen, was mir erspart bleibt. Mitreisende und chinesisches Personal erwiesen sich als sehr höflich und hilfsbereit. Dass meinetwegen Polizei im Wohnviertel auftauchte, verschweigt die Hausverwaltung, um niemanden zu beunruhigen. Diskriminierung erlebe ich nicht. Warum die Maßnahmen nicht übertrieben sind, beweisen zwei jüngste Neuinfektionen bei eingereisten Auslandschinesen in Dalian.

Geistliche und weltliche Freunde in Deutschland ermutigen mich mit Mails.

Dalian befindet sich teils eben teils gebirgig auf der Südspitze der Halbinsel Liaodong in der Provinz Liaoning. Noch vor dem 1. Weltkrieg besiegten die Japaner die Russen und blieben bis 1945. Auch heute hat die Millionenmetropole große strategische Bedeutung. So wohnen sogar in meiner Siedlung Militärs. Dalian gilt in Sachen Mode als das Mailand Chinas und verfügt Uber eine vielfältige Industrie. Fast jeder Chinese schwärmt von dieser Stadt, die die Regierung auch gern ausländischen Staatsgästen zeigt. Das Klima ähnelt unserem. Im Reich der Mitte gibt es viele Wohnviertel wie „meines“: umzäunt, bewacht und meist von den Eigentümern selbst genutzt. „Meines“‘ ist gut zweieinhalb Jahrzehnte alt und erinnert im Baustil an typische Mehrfamilienhäuser in Italien oder Spanien. Wir kennen Christen in der Nachbarschaft, vermutlich leben viele andere hier.

In der Nacht vor der Untersuchung am 29. März träumte ich von Covid-19. Heute gegen 11.00 wurde ich vor dem Haus nach von einem Fahrer im Schutzanzug abgeholt und mit seinem Krankentransporter zu einer kleinen medizinischen Einrichtung gebracht. Noch vor deren Eingang entnahm eine Mitarbeiterin mit großem Wattestäbchen einen Abstrich aus meinem Rachenbereich. Anschließend brachte mich der Fahrer zurück. Das Ganze dauerte circa 35 Minuten. Dalian wirkte sonntäglich belebt wie immer. Die Leute strömten in einen großen Markt – ohne Abstand zu halten.

Stephan Wannovius, Frankfurt , z. Zt. Dalian, Provinzen Liaoning, China