Das Dunkel erhellt

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Heiko Schulz bei seinem Vortrag im Wildbad. Krippe im Dunkeln, von Kerzen erhellt. Fotos: Borée/pixabay
Heiko Schulz bei seinem Vortrag im Wildbad. Krippe im Dunkeln, von Kerzen erhellt. Fotos: Borée/pixabay

Wie die Finsternis durch die Krippe ins Schwinden gerät: Nachlese einer Wildbad-Tagung

Wie kann Gott das Dunkel zulassen? Wieso will er sogar dort „wohnen“, wie Jochen Klepper in seinem bekannten Adventslied dichtete, – „und hat es doch erhellt“? 

Nur Menschen können nach den Gründen für das Leiden suchen, so Heiko Schulz. Auch Tiere empfinden sicher Schmerz, können es aber wohl nicht als Leid und Übel erfahren. Diese Deutung sei allein menschlich. Der Frankfurter Theologieprofessor hielt bei der Wildbad-Tagung „Ratlos vor dem Bösen?“ der Reihe „Weltanschauungen im Gespräch“ den abschlie­ßenden Vortrag zum „Bösen aus christlicher Perspektive“. Damit betrat er den Boden der „Theodizee“, also das Nachdenken über Gottes Gerechtigkeit. Ist Gott entweder nicht uneingeschränkt gut oder allmächtig, wenn er sündhaftes Tun der Menschen und andererseits ungerechtes Leiden zulässt?

Leid als Prüfung Gottes?

Natürlich könne jeder Mensch Leiden und eine lebensbedrohende oder schmerzhafte Krankheit nicht als Ungerechtigkeit, sondern als Prüfung Gottes verstehen – und dem dadurch einen Sinn geben. So geschieht eine „Verklärung des Übels zu einem erzieherischen Guten“, meint Schulz. Eine solche Entscheidung kann allerdings immer nur der oder die Betroffene selbst treffen.

Es gibt immer Schicksalsschläge, für die niemand als Verursacher auszumachen ist – etwa Krankheiten und Naturkatastrophen (zumindest vor der Zeit der Klimawandels). Daneben gibt es viele strukturelle Verstrickungen: Wir sehen manche Herausforderungen gar nicht oder können ihr nicht gerecht werden. Biblisch gesagt: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach?

Philosophen und Theologen haben sich an der Frage vom Sinn böser Erfahrungen abgearbeitet. Vor Heiko Schulz hielt bereits Privatdozent Jörg Noller aus Konstanz seinen Vortrag „Vernunft als Unvernunft“ über das Böse aus philosophischer Perspektive. Beide näherten sich dem Thema auf intellektuell äußerst hohem Niveau. Leibniz, Kant und Kierkegaard waren nur einige ihrer Gewährsleute. Lässt sich das Thema aber so erden, dass es sich mit existentiellen Erfahrungen erfüllt? 

Das musste auch Jochen Klepper erfahren, der schon willkürliche Ausgrenzung erfuhr, während er sein Lied „Die Nacht ist vorgedrungen“ textete. Ende 1937 und genauso in den kommenden Jahren konnte er als Schriftsteller nirgendwo mehr Fuß fassen, da er mit einer Jüdin verheiratet war. „Noch manche Nacht wird fallen“, dichtete er weiter, „auf Menschenleid und -schuld. / Doch wandert nun mit allen / der Stern der Gotteshuld“. Doch spielten solche Erfahrungen bei der Tagung eher eine geringe Rolle.

Im Dezember 1942 ging Klepper mit seiner Frau und deren Tochter in den Freitod, bevor sie deportiert werden sollten. Dennoch konnte er in seinem Lied gegen Ende dichten: „Gott will im Dunkel wohnen / und hat es doch erhellt. / Als wollte er belohnen, / so richtet er die Welt“.

Im Gericht Gottes können wir Menschen uns in seinem Licht ungeschminkt sehen. Erhellend oder bedrückend – gerade, wenn sich nichts mehr ändern lässt? Insofern deutete Jochen Klepper in seinem Lied das Urteilen Gottes streng lutherisch. Sünde ist Absonderung von Gottes Willen – trotzdem er uns Freiheit des Handelns und Deutens lässt. Gott sieht sein schöpferisches Handeln auch in Bezug auf die Menschen als „sehr gut“ an (1. Mose 1, 31). Hätte er nicht allwissend den „Sündenfall“ voraussehen können?

Dagegen legt Johann Wolfgang von Goethe seinem Mephisto im „Faust“ in den Mund: „Ich bin der Geist, der stets verneint! / Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, / Ist wert, daß es zugrunde geht; / Drum besser wär‘s, daß nichts entstünde. / So ist denn alles, was ihr Sünde, / Zerstörung, kurz das Böse nennt, / Mein eigentliches Element“. Nichts hat Bestand vor ihm, sondern ist manipulierbar.

Sicherlich gibt es „böse“ Menschen, etwa Psychopathen. Therapeutin Lydia Benecke stellte bei der Tagung ihre Arbeit mit Gewalt- und Sexualstraftätern vor, deren Persönlichkeitsstörung etwa mangelnde Empathie und dafür große manipulative Fähigkeiten beinhaltet. Wie kann da verantwortliches Handeln wurzeln und wachsen?

Und es gibt strukturelles Böse: etwa bei Stasi-Überwachungen, die der heutige Ruhestandspfarrer Andreas Fincke schon als Jugendlicher am eigenen Leib erfuhr und bei der Tagung vorstellte. Selbst seine erste Frau bespitzelte ihn, ebenso viele angebliche Freunde. Glaubten sie vielleicht noch, so Gutes im Sinne der herrschenden Norm zu tun?

Da braucht es dann gar nicht mehr den Schrecken der Horrorfilme, denen sich Luise Merkert in ihrem Einstiegsvortrag genähert hatte: Sie zeigte Ausschnitte aus dem Film „Die Hexe“ von 2015: Da wird der Teufel als real vorausgesetzt, der eine ursprünglich streng religiöse Siedlerfamilie zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Neuengland terrorisiert. Der Film arbeitet mit religiösen Bezügen, gerade zur Hiobs-Geschichte: Ist der Glaube der Familie zu schwach oder „falsch“ geprägt? 

Auch hier gerät die eindeutige Zuschreibung von Gut und Böse ins Wanken – der große „Verwirrer“ zerstört gegenseitiges Vertrauen innerhalb der Familie. Er erweckt den Anschein, als sei die ältere Tochter besessen und gewalttätig – bis er sie auf diese Weise total isoliert und damit in seinen Dienst zwingt. Gerade diese scheinbar unaufhaltsame Entwicklung erscheint schrecklicher als oberflächliche Horroreffekte.

Schwäche bezwingt Macht

So setzte die Tagung im Wildbad spannende Akzente und lud in hervorragender Weise erneut zum Austausch ein. Doch soll die „Christologische Perspektive“, die eine Teilnehmerin vermisste, der Blick auf Weihnachten nicht vergessen sein: In der Versuchungsgeschichte verspricht der Satan zuletzt Jesus große weltliche Macht (Mt 4). Ist das eine seiner Möglichkeiten, durch solche Verwirrung die wahre Macht Gottes einzuschränken? 

„Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt / Er soll errettet werden, / wenn er dem Kinde glaubt“, wie Klepper dichtete. Es kam mitten im Dunkeln in der Krippe zur Welt. Seine „Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Kor 12, 9).