Geborgen im Kokon

637
Der Kokon, in dem die Umwandlung entsteht. Foto: PR Meine Erde
Der Kokon, in dem die Umwandlung entsteht. Foto: PR Meine Erde

Neue Bestattungsform für schonende und nachhaltige Rückkehr in den Kreislauf der Natur

Ist es eine schonende und nachhaltige Rückkehr der Körper in den Kreislauf der Natur? Ein „würdevoller Abschied“, wie Pröpstin Almut Witt vom Kieler Kirchenkreis Altholstein meint? Oder bedeutet die „Reerdigung“ gerade eine Verletzung der „Würde des Verstorbenen und des Pietätsempfindens der Allgemeinheit“, wie es der gerade aus dem Amt geschiedene bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek formulierte? Als eine seiner letzten Amtshandlungen legte er gegenüber dem Bestatterverband Bayern dar, dass diese Bestattungsform „in Bayern grundsätzlich nicht zulässig“ sei. Auch in Nordrhein-Westfalen ist sie verboten.

Es ist jedenfalls eine neue Form der Bestattung, die bereits in sieben US-Bundesstaaten in ähnlicher Form möglich ist: In einer grauen Wanne aus recyceltem Kunststoff wird der Verstorbene unbekleidet gebettet und mit organischen Materialien bedeckt. Mit der Zugabe von Sauerstoff, aber ohne Chemikalien läuft ein beschleunigter, aber natürlicher Umwandlungsprozess zu Erde ab, die dann einem Grab zugefügt wird.

Seit Anfang 2022 gibt es dazu Pilotprojekte in Schleswig-Holstein: in Mölln im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland sowie auf dem Kieler Parkfriedhof Eichhof. Die Wortschöpfung „Reerdigung“ der Verstorbenen betrieben verbinde die Rückkehr in die Erde mit einer Beerdigung. Nachhaltig soll dieser Weg ins Jenseits sein, so die Betreiberfirma „Meine Erde“.

Bastian Modrow von der Medien­abteilung im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg, der für Mölln zuständig ist, antwortet dem Sonntagsblatt auf Anfrage: Auch Pastor Dr. Wilko Teifke als Landeskirchlicher Beauftragte für das Land Schleswig-Holstein habe sich „aufgeschlossen“ gegenüber der neuen Bestattungsform geäußert. Das bestätigt auch eine Stellungnahme des Landeskirchenamts der Nordkirche.

Die Kieler Pröpstin Almut Witt betreut kirchlicherseits das Kieler Projekt. Ihre Funktion ist vergleichbar mit dem bayerischen Dekanatsamt. Seit kurzem gibt es dort einen zweiten Kokon: Nach 40 Tagen ist der Verstorbene tatsächlich zu Erde geworden, so Witt im Telefonat mit dem Sonntagsblatt. Sie war bei Öffnungen der Kokons dabei. Der Inhalt rieche dort nach frischer Erde. 

Ihr ist die seelsorgerische Begleitung der Angehörigen bei diesem Abschiedsprozess wichtig. Dabei sieht sie es positiv, dass durch diese neue Bestattungsform „Menschen überhaupt wieder über den Tod und das Sterben nachdenken“. Und der Schöpfungsgedanke gefällt ihr, dass ein Körper ressourcenschonend in den Kreislauf der Natur übergehe.

Schonende Umwandlung

Denn im Gegensatz zu einer Feuerbestattung sind die Energiekosten bei einer Reerdigung gering. Lediglich 25 bis 30 Kilowattstunden Strom seien für die technischen Prozesse nötig, der zudem aus erneuerbaren Energiequellen stamme, so die Firma. Die Beisetzung auf dem Friedhof kann dann ohne Sarg erfolgen – doch lässt sich auch durchaus auf Wunsch ein solcher verwenden. Natürlich greift so die Idee, dass durch neue Erde neues Leben entstehen soll, schwerer. Aber das ist für die Firma keine Glaubenssache.

„Insgesamt fällt etwas mehr Erde an, als der Körper Gewicht hatte“, erklärt Pablo Metz, einer der Gründer der Firma „Meine Erde“ ebenfalls im Telefonat mit dem Sonntagsblatt. Denn der gesamte Inhalt des Kokons mitsamt den pflanzlichen Materialien wird dann beerdigt – abgesehen von möglichen Überresten künstlicher Gelenke oder ähnlichem. Das ließe sich problemlos wie in Krematorien herausfiltern. Knochen und Zähne werden wie bei der Kremation in gemahlenem Zustand der Erde wieder zugefügt. 

Mögliche Rückstände von Medikamenten vergingen durch die Wärme-Entwicklung in dem Kokon bis auf geringe Spuren. Bei einer traditionellen Erdbestattung könnten mehr Schadstoffe bleiben, so die Firma. Mit der Temperatur von bis zu 70 Grad Celsius in dem Kokon seien alle Auflagen des Infektionsschutzes erfüllt. 

Das bestätigt der forensische Entomologe, also Insektenforscher, Marcus Schwarz von der Universität Leipzig. Er hat die Pilotphase wissenschaftlich begleitet und Erdproben untersucht. Er sieht die Reerdigung als unbedenklich für Mensch und Umwelt an. Da bestätigt auch das schleswig-holsteinische Gesundheitsministerium in einer Medieninformation vom 15. November den „bisher positiven Verlauf“ des Pilotprojektes und ergänzte: „Nach Angaben der unmittelbar am Projekt Beteiligten erfolgte eine wissenschaftliche Untersuchung von der Universität Leipzig, die nach bisher vorliegenden Ergebnissen keine Kritik daran äußerte. Andere Wissenschaftler, die sich öffentlich zu der Thematik kritisch äußerten, hatten soweit bekannt keinen Zugriff auf Proben sterblicher Überreste im Rahmen des Pilotprojektes.“ Somit argumentieren sie gegen andere Äußerungen. Eine traditionelle Sargbestattung sei gar ökologisch gesehen bedenklicher. Durch den Luftabschluss in Särgen verlangsame sich die Umwandlung, so Schwarz. Oder durch die zunehmende Trockenheit in der Erde. Doch lasse dies sich im Kokon exakt steuern.

Die Beerdigungsfelder seien bislang räumlich getrennt von den üblichen Grabstätten – falls sich ein Nachbar an der neuen Form störe. Doch nach Befragungen seiner Firma sieht Pablo Metz eine große Offenheit in der Bevölkerung gegenüber der neuen Bestattungsform. Er berichtet von vielen Anfragen. 

Zwar gibt es bislang nur Kokons in Mölln und Kiel, doch auch in Hamburg oder Mecklenburg-Vorpommern ist es schon möglich, Erde nach der Umwandlung zu bestatten. In Bayern nicht. „Doch haben wir auch schon Nachfragen aus Bayern.“ Manche würden es sogar „vorziehen, dann fern der Heimat begraben zu sein, um reerdigt werden zu können“. Metz sieht gute Chancen, dass das Pilotprojekt im Norden bald in den Regelbetrieb übergeht.  

Die Reerdigungskosten liegen bei 2.900 Euro ohne Grabstelle und Trauerzeremonie. Damit sind sie vergleichbar mit einer Einäscherung und liegen unter denen einer traditionellen Erdbestattung. 

Ökologische Auferstehung

So betonen kirchliche Stellen neben dem ökologischen auch die sozialen Aspekte der Reerdigung. „Verglichen mit der Kremation“ sieht etwa die Katholische Sozialwissenschaftliche Zentralstelle in Mönchengladbach in einer Stellungnahme die Reerdigung „als durchweg vorzugswürdig“ – zumal „sich die christliche Auferstehungshoffnung nicht auf die körperlich-materielle Dimension des Verstorbenen bezieht“.

Auch eine ausführliche Stellungnahme des Konsistoriums der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) betont neben der Würde des Verstorbenen und des Trostes für die Angehörigen „die Hoffnung auf die Auferstehung“ bei der „Gestaltung der Trauerfeier und dann auch des Grabes“. Und weiter: „Unseres Erachtens kann der Weg der rituellen Begleitung des Verstorbenen bis zum Grab auch unter den Bedingungen dieser alternativen Erdbestattungsform der ‚Reerdigung‘ angemessen, würdig und liebevoll gestaltet werden“ – auch wenn „ein passenderer Begriff als der der ‚Reerdigung‘, nämlich einer, der der Auferstehungshoffnung besser Ausdruck verleiht, wünschenswert“ sei. Doch christliche Grundanliegen ließen sich durchaus bei den Trauerzeremonien rund um eine Reerdigung formulieren.

Auch auf der Homepage https://meine-erde.de scheinen die Formulierungen und die Bildsprache zunächst sehr tröstend, sehr empathisch zu sein. Doch schnell wird deutlich, dass Leerstellen bleiben, wo christliche Menschen auf die Auferstehung und Begleitung Gottes im tiefsten Leid hoffen. Während das Christentum auf „einen neuen Himmel und eine neue Erde“ hofft, betont „Meine Erde“ das Denken in Kreisläufen. Zwei Beispiele von der Homepage: „Die schönste Art zu bleiben“, lautet etwa das Motto direkt auf der Startseite – während es traditionell bei christlichen Trauerprozessen um das Loslassen geht. Der Körper sei „im Kokon geborgen“. Das ist er ebenso wenig wie im Sarg oder in der Urne – sondern nach christlicher Hoffnung in Gott.

Natürlich ändern sich gerade Trauerformen in einer säkulareren Gesellschaft (Seite 22). Menschliches Tun oder Unterlassen könne nach Augustin „das Heil leiblicher Auferstehung unmöglich“ beeinflussen, so die Nordkirche. Schon die Kremation stellte manche Vorstellungen von Auferstehung in Frage: Evangelische Theologie kam zu der Einsicht, dass sie nicht fundamental biblisch begründet ist. Man wolle der Reerdigung „positiv gegenübertreten und lernen, was eine neue Bestattungsart mit uns macht“, fasst Bastian Modrow aus dem Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg das Anliegen zusammen. Genau das ist der spannende Punkt. Ändert das die christliche Auferstehungshoffnung?