Aussitzen macht es nicht besser

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Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt von Raimund Kirch zum Rücktritt von Annette Kurschus

Vorweg bemerkt. Annette Kurschus ist eine exzellente Formuliererin und Predigerin; das hat sie erst jüngst bei der Einführung des Landesbischofs in der Nürnberger Lorenzkirche bewiesen. Ihre Worte, an dessen Vorgänger Heinrich Bedford-Strohm gerichtet, waren trefflich und bewegend zugleich. Annette Kurschus ist auch eine engagierte Theologien mit sicherem Gespür für Grundfragen des Glaubens und ihrer Deutung. Und sie war eine stets präsente und sympathische EKD-Ratsvorsitzende seit November 2021.

War. Denn nun hat sie ihren Rücktritt erklärt. Der war zu erwarten, weil sie genau den Fehler begangen hat, der schon zu vielen solcher scheinbar freiwilligen und letztlich doch erzwungenen Rücktritte geführt hat: Sich nämlich auf den Prokrastinationseffekt zu verlassen. Das heißt: Durch Aufschieben und Zuwarten zu glauben, dass über eine Sache Gras wächst. Was mitunter auch immer wieder mal gelingt. Peinliche Fragestellungen geraten durch neue, dringliche Ereignisse in vorläufige Vergessenenheit. Darauf hatten schon andere gehofft.

Hätte Annette Kurschus die Vorwürfe gegen sie wirklich gleich zu Chefinnen-Sache erklärt; hätte sie offen über die familiären Beziehungen zu dem Täter von damals gesprochen und auch über ihr eigenes Versagen in dem Zusammenhang, wäre ihr dies vielleicht weniger negativ angerechnet worden. Ihre Stellvertreterin und nun Interimsvorsitzende des EKD-Rats, die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, hat sich bei ähnlichen Vorwürfen klarer verhalten.

Missbrauch, und sexueller besonders, ist ein Makel, der in allen Schichten der Gesellschaft vorkommt, im Raum der Kirche aber noch viel gravierender empfunden wird. Gerade dann, wenn aufgeschoben, verschwiegen, vertuscht wird und man aus Angst, das Gesicht zu verlieren, die Sache zum Skandal heranreifen lässt.

Noch bei der EKD-Synode in Ulm hatte Annette Kurschus über die neue Kirchenmitgliedschaftsstudie gesagt: „Von uns wird zurecht erwartet, dass wir religiöse Themen in unserer Gesellschaft wachhalten und immer wieder in die Diskussion bringen.“ Nun musste sich sich an den eigenen Worten messen lassen.

Natürlich ist man an den Rücktritt der damaligen EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann erinnert.Der war honorig, der von Annette Kurschus war überfällig. 

Raimund Kirch, Mitglied im Herausgeberbeirat