Aufbewahrt für die Ewigkeit?

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Hand des Old Croghan Mannes im Dubliner Nationalmuseum. Foto: Borée
Hand des Old Croghan Mannes im Dubliner Nationalmuseum. Foto: Borée

Moorleichen nicht nur in Irland lassen erschauern, bieten aber spannende Erkenntnisse

Vor nunmehr 20 Jahren eilte die Polizei an eine abgelegene Stelle in die irische Grafschaft Offaly – zu einem gut erhaltenen Verstorbenen, der offenbar gewaltsam zu Tode gekommen war. Bald stellte sich heraus, dass der Falll vorgeschichtlich war: Der nach seinem Fundort benannte Old Croghan Mann starb zwischen 362 und 175 vor Christus. 

Sie blieben wirklich fast für die Ewigkeit: Moorleichen wie der Old Croghan Mann wurden oft zufällig, etwa beim Torfstechen, entdeckt. Der Luftabschluss und das saure Milieu der Torfmoose ließ zu, dass die Haut und die inneren Organe gut erhalten blieben, wenn auch verfärbt. So lässt sich gut nachvollziehen, wie ihr Gesundheitszustand war und wie sie zu Tod kamen. Nicht nur Reste ihrer letzten Mahlzeit finden sich im Magen, sondern auch Hinweise auf ihre Hauptnahrung in den letzten Monaten vor ihrem Tod. Teils lassen sich sogar individuelle Gesichtszüge erkennen. 

Gescheiterte Herrscher?

Im vorgeschichtlichen Irland scheinen gerade besonders Mächtige im Moor bestattet zu sein. Zur keltischen vorchristlichen Zeit war das Volk in rund 150 Klans organisiert. Die Herrscher dieser Kleinkönigreiche repräsentierten ihr Volk und vor allem den Adel. Sie führten es in den Krieg. Bei größeren Bedrohungen konnten sich mehrere von ihnen zu sieben Provinzkönigtümern zusammenfinden, deren Führer unter ihnen gewählt oder bestimmt wurde – ebenso wie bei Bedarf ein Hochkönig als Repräsentant aller.

Offenbar kamen viele der Moorleichen von der Grünen Insel mit einer aktuellen Bedrohungslage nicht zurecht – oder vielleicht waren es auch unterlegene Kandidaten bei der Auswahl der Herrscher. 

Mehrere der bemerkenswert gut erhaltenen Körper wurden auf die Zeit zwischen 400 und 200 vor Christi datiert. Herrschaftsinsignien wie besonderer Kopfschmuck und Umhänge oder Goldringe und kostbare Waffen zeigen ihre besondere Stellung. Auf Zusammenhänge mit Ritualen weisen Kessel und Becher für Gelage, Prozessionsgegenstände und hölzerne Fässer mit Moorbutter bei ihnen hin. Diese spielten in der Überlieferung bei der Einweihung des neuen Königs eine große Rolle. Viele Gräber finden sich im Grenzbereich zwischen Territorien, deren Verlauf archäologisch bekannt ist. 

Der Mann aus Old Croghan war gut 25 Jahre alt und mit über 1,90 Metern damals fast ein Riese. Archäologe Ned Kelly hat ihn seit 2003 für das National Museum of Ireland sorgfältig erforscht. Der Mann wurde nach seiner Erdrosselung zusätzlich geköpft. Trotzdem ist sein Körper gut erhalten, besonders die Hände mit sorgfältig gepflegten Fingernägeln – und die inneren Organe. Die Hände zeigen, dass er offenbar keine schweren körperlichen Arbeiten erledigen musste. Es lässt sich nachweisen, dass er besonders viel Fleisch während der letzten vier Monate vor seinem Tod aß. Heißt das, dass er im späten Winter starb, bevor wieder Pflanzen wuchsen? 

Haselzweige um seine Arme sollten den Körper im feuchten Grab niederhalten. Oder gehören sie zu einem Ritual, um Grenzen zu sichern? Denn seine letzte Ruhestätte lag auf der Grenze zweier alten Territorien von Kleinkönigen und nahe eines Hügels, auf dem Großkönige eingeführt wurden.

Neben ihm bewahrt das Dubliner National Museum of Ireland weitere Körper auf. Ausführliche Begleittexte erklären die Untersuchungen der Archäologen. Nach seinem Fundort benannt ist auch der Mann aus dem Moor von Clonycavan, der zwischen 392 und 201 vor Christus ermordet wurde. Er trug fast einen modernen Irokesen-Haarschnitt. Wollte er sich damit größer machen? Schließlich maß er nur etwa 1,75 Meter. 

Damit der Haarkamm aufrecht stand, war sein Haar mit Kiefernharz als Art Haar-Gel versetzt. Die Bäume, von denen es stammt, wuchsen damals nur in Spanien und im Südwesten Frankreichs. Für den Import muss er wohlhabend gewesen sein. Er trug einen Schnurbart und einen Ziegenbart. Und er hatte eine gebrochene Nase sowie schiefe Zähne. 

Der Clonycavan Mann wurde mit Anfang 20 getötet – und zwar mit mehreren Hieben auf den Kopf. Zusätzlich wurde sein Unterleib aufgeschlitzt. Leider vernichteten Erntemaschinen seinen Körper unterhalb der Taille. Untersuchungen seiner Eingeweide und Haare lieferten jedoch zahlreiche Informationen zu seinen Ernährungsgewohnheiten. Seine Nahrung war besonders reich an Gemüse und Beeren, was darauf hindeutet, dass er untypischerweise im Spätsommer oder Herbst zu Tode kam. Auch er wurde auf einer Grenze bestattet. 

Bei beiden Männern waren die Brustwarzen zerschnitten. Für den Archäologen ein zusätzlicher Hinweis, dass sie gescheiterte Könige oder Kandidaten dafür waren, die getötet und in Mooren versenkt wurden, die die Stammesgrenzen bildeten. Das Saugen an eines Königs Brustwarze war im alten Irland nach Kelly eine Geste der Unterwerfung. Ihre Zerstörung machte ihn unfähig, das Königtum auszuführen.

Bestatten oder Forschen?

Nicht nur in Irland, sondern in den Feuchtgebieten ganz Nordeuropas fanden sich Moorleichen. Doch anders als auf der Grünen Insel sind es auch Menschen eher gewöhnlicher Herkunft, auch wenn viele von
ihnen offenbar hingerichtet oder sogar rituell geopfert wurden. Gerade in Norddeutschland häufen sich Funde auffällig in die Zeiten der Expansion des Römischen Reiches gen Norden – also in den Jahrhunderten um Christi Geburt: Bei den meisten der Geöteten muss dies nach den Nahrungsresten in ihrem Körper im Spätwinter geschehen sein.

Andere Körper sind wohl Opfer von Unglücken. Und es gibt Personen, die unter natürlichen Umständen verstarben, aber sorgfältig, wenn auch abseits im Moor bestattet wurden. Über die Gründe können wir nur spekulieren: Außenseiter? Ehrlose? Furcht davor, dass sie als Wiedergänger zurückkehrten?

Und wenn wir heute von den Körpern fasziniert sind – stören wir ihre Ruhe? Niemand weiß mehr ihre Namen oder etwas über ihre Person. Mögliche Angehörige sind ebenfalls längst vergangen. Es bleibt die Faszination darüber, was sie uns zu erzählen haben. Jedenfalls ist das wohl ein respektvollerer Umgang mit ihnen als mit dem Mann von Gallagh, der 1821 gefunden wurde. Anschließend gruben die Finder ihn wieder ein, öffneten aber die Stelle gerne für Schaulustige, bevor er 1929 konserviert wurde. Sein Erhaltungszustand ist entsprechend.

Oder gehören die Körper auf einen Friedhof bestattet? So ist es etwa 1640 in einer norddeutschen Bauernchronik von einer Moorleiche berichtet ist. Dort verging sie wie alle Bestatteten.