Gnadenlose Opposition

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Editorial von Raimund Kirch, Mitglied im Herausgeberbeirat des Evangelischen Sonntagsblattes

Als unsere Kinder begannen, sich für Wahlen zu interessieren, habe ich vielleicht einmal zu oft gesagt, dass wahre Demokraten eigentlich immer die Opposition wählen sollten. Das war noch in den Zeiten, als es starke und selbstbewusste Regierungsparteien und -koalitionen gab. Wenn ihnen eine kluge und kritische Opposition auf die Finger schaut, könne das nur dem Gemeinwesen dienlich sein, so habe ich es den Kindern zu erklären versucht.

Heute würde ich das auf keinen Fall mehr sagen. In Bayern wird die Alternative für Deutschland (AfD) die lautstärkste Oppositionspartei sein. Wobei Opposition das falsche Wort ist. Den Vordenkern der neuen Rechten ist es gelungen, Fremden- und Demokratiefeindlichkeit, Anti-Feminismus und Gen­der-Kritik sowie Klimakatastrophenleugnung in Form des Ressentiments sowie abstruser Verschwörungsmythen und Rassismus als „normal“ erscheinen zu lassen. Uns wird eingeredet, wir seien die Opfer von Migrantenströmen, denen die „Dummköpfe“ der Regierungsparteien nichts entgegenzusetzen haben.

Zugegeben, die Ampel hat nicht gerade geleuchtet, vor allem aber hat sie sich nicht gut präsentiert. Dabei hat sie mit der Corona-Epidemie, mit dem Ukrainekrieg und den daraus resultierenden Energieproblemen mehr Schwierigkeiten zu meistern gehabt, als alle Regierungen vor ihr. Und mir persönlich hat es imponiert, wie offen über Fehler gesprochen wurde und wird.

Es ist wohl eine Zeiterscheinung, dass man damit gnadenlos umgeht. Die grassierende Unduldsamkeit, die Schmähreden, die Hassbotschaften im Netz, sind ein Spiegel dieser Zeit.

In mir hat sich der Eindruck gefestigt, dass auf die Tabubrüche kaum öffentliche oder kirchliche Reaktionen mehr kommen. Schlimmer aber noch ist die Vorgabe, dass Kirche sich herauszuhalten habe, weil sie neutral sei.

Das geht gar nicht. Wo völkisches Denken, Rassismus auch nur in Ansätzen und Nationalismus wieder gedeihen, müssen Christenmenschen sich einmischen, dagegenhalten und argumentieren. Das kostet Mühen, zugegeben. Es reicht aber nicht, wenn auf gefährliche Stimmungsmache nur ein paar zahnlose Handreichungen kommen. Aus dem Öffentlichkeitsanspruch des Evangeliums erwächst auch ein Öffentlichkeitsanspruch der Kirche!

Ihr Raimund Kirch, Mitglied im Herausgeberbeirat