Wanderer zwischen den Welten

293
Pfalzgraf Christian August kurz vor seinem Tod 1708 (links) und Franciscus Mercurius van Helmont. Repros nach zeitgenoössischen Gemälden: Borée
Pfalzgraf Christian August kurz vor seinem Tod 1708 (links) und Franciscus Mercurius van Helmont. Repros nach zeitgenoössischen Gemälden: Borée

Lebenslinien: Ließ sich nach 1648 ein tolerantes Paradies auf Erden verwirklichen?

Unerträglich! Ein Pazifist und Gegner der Todesstrafe soll er gewesen sein, so lautete der Vorwurf der Inquisition gegen Franciscus Mercurius van Helmont (* 1614): Grund genug für seine Gegner, ihn Ende 1661 unweit von Kitzingen entführen zu lassen. Nicht genug damit, er hätte Quäker, Wiedertäufer und Juden unterstützt, so gingen die Anschuldigungen weiter. Die Unterstützung religiöser Irrlehren und Angriffe auf die traditionelle soziale Ordnung schienen für Helmonts Gegner nicht hinnehmbar. Er wurde nach Rom verschleppt.

Da schaltete sich Pfalzgraf Christian August (1622–1708) aus Sulzbach ein, zu dem Helmont unterwegs gewesen war. Er ließ Flugblätter publizieren, die die Vorwürfe gegen den Gelehrten Punkt für Punkt widerlegten. Die fein geschliffenen Instrumente der Diplomatie kamen ebenso zum Einsatz. War er nicht erst vor wenigen Jahren selbst katholisch geworden und hatte in seinen zersplitterten Gebieten rund um Sulzbach damit einen Vorposten des Protestantismus geräumt?

Doch selbst in seiner Residenzstadt fanden immer noch lutherische Gottesdienste statt. Entgegen der damals üblichen Regel, dass die Untertanen die Konfession ihrer Herrscher übernehmen sollten, setzte er auf simultane Gottesdienste beider Konfessionen – sogar in derselben Kirche. Er war der Herrscher, der in seinen Gebieten die „Simultankirchen“, einführte, zu dem der gleichnamige Förderverein Mitte September sein Symposium abhielt (vgl. letzte Sonntagsblatt-Ausgabe). 

Volker Wappmann hat sich bereits 1994 in seiner Dissertation intensiv mit Christian August beschäftigt. Er nahm auch an dem Symposium teil. Am wenigstens gefielen die Simultaneen damals den Lutheranern. Immer wieder setzten sie sich dafür ein, Gotteshäuser und Kirchenbesitz nicht teilen zu müssen.

Dabei ging es in der Helmont-Affäre auch um den Konflikt zwischen Christian August und seinem Cousin Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1615–1690). Den Zwist hatten sie von ihren Vätern geerbt. „Man pflege auch wol öfters auf den Sack zu schlagen, und meine den Esel“, erkannte Christian August nach Wappmann.

Taktik oder Überzeugung?

Ein Blick zurück: Wolfgang Wilhelm, der Vater des Neuburgers, war 1613/14 katholisch geworden – um Magdalene, die Schwester des bayerischen Herzogs Maximilian I. zu heiraten. Dieser führte im Dreißigjährigen Krieg das Lager der Katholiken an. Ferner erhielt Wolfgang Wilhelm so die Unterstützung der katholischen Seite für seine Ansprüche auf die Gebiete Jülich und Berg. 

Wolfgang Wilhelms jüngere Brüder waren entschieden gegen den Konfessionswechsel – allen voran August, der Vater Christian Augusts. Allerdings starb er bereits 1632, als sein ältester Sohn gerade einmal zehn Jahre zählte. Sicherheitshalber wurde der Junge im Norden Deutschlands, in den Einflussgebieten des dänischen Königs Christian IV. erzogen – nach umfangreichen humanistischen Bildungsplänen. 

1645 übernahm Christian August in Sulzbach die selbstständige Regierung. Der katholische Onkel Wolfgang Wilhelm lebte aber noch. Allerdings sah bald der Westfälische Frieden vor, in allen Gebieten, die 1624 protestantisch waren, diese Konfession zu erhalten. Das mussten auch Wolfgang Wilhelm und sein Sohn Philipp Wilhelm, der 1653 die Nachfolge antrat, akzeptieren. 

Schon bald schlossen die beiden Cousins den „Neuburger Hauptvergleich“ ab. Christian August regierte nun anerkanntermaßen ein reichsunmittelbares Fürstentum. Zeitgleich wurde er katholisch.

Volker Wappmann diskutiert ausführlich die Frage, inwieweit dieser Glaubensübertritt aus politischem Kalkül erfolgte. Anscheinend geschah die innere Abkehr des Christian Augusts von der lutherischen Konfession auch unter dem Einfluss Franciscus Mercurius van Helmonts. Die beiden waren sich im Mai 1651 begegnet. Zur selben Zeit zweifelte auch Christina von Schweden, ausgerechnet die Tochter und Nachfolgerin Gustav Adolfs, zunehmend an protestantischen Überzeugungen. Christian August kannte sie persönlich. Sie konvertierte 1654 zum Katholizismus, musste aber deswegen abdanken und ging nach Rom. 

Auch andere protestantische Adlige und Denker wechselten zu dieser Zeit ihre Konfession zu dieser Zeit. Offenbar erschien der katholische Glaube damals eher weltläufiger zu sein. „Was Christian August betrifft, so hat sich die altprotestantische Orthodoxie seinen religiösen Fragen und Anfragen verweigert“, so Volker Wappmann. Er beobachtet massive Glaubenszweifel bei dem Pfalzgrafen. Er verweigerte schon länger das lutherische Abendmahl – bevor ihm nachvollziehbar dessen genaue Bedeutung erklärt werden konnte. Spätmittelalterliche Mystik gefiel ihm da mehr.

Weite Denkhorizonte

Und Franciscus Mercurius van Helmont? Er war nicht nur ein unentwegt Reisender durch Europa, sondern auch ein Wanderer zwischen den Welten. Die Grenzbereiche zur Alchemie und zur Esoterik interessierten ihn. Er öffnete sich neuen Ideen wie eben den Quäkern. Ebenso wandte er sich der Mystik und der jüdischen Kabbala zu, pflegte aber auch enge Kontakte Leibniz.

Die beiden Pfälzer Cousins rangen 1662 darum, ob dies zu einer Verurteilung ausreichte. Es blieb letztlich nur eine verlässliche Zeugenaussage dazu, dass Helmont sich Jahre zuvor kritisch über die Pracht Kölner Kirchen geäußert hatte. Das war in dem Fall selbst der Inquisition zu wenig. Endlich, nach anderthalb Jahren, kam Helmont wieder frei. 

Frühe Pietisten zog es bald genauso nach Sulzbach wie Freigeister. Und ab 1666 auch Juden. Und kurz darauf eine Druckerei auch auf Hebräisch – neben christlichen Betrieben. In Sulzbach entstanden wohl auch viele anonyme Werke, die sonst nicht druckbar waren. Durch Helmonts Vermittlung wurde der Lutheraner Christian Knorr von Rosenroth 1668 Hof- und Kanzleirat. Der Jurist, Gelehrte und Literat prägte das reiche geistige Leben am Pfälzer „Musenhof“ entscheidend mit – geschützt durch das lange Leben des Pfalzgrafen. Im Alter war es ihm wichtig, die Toleranzpolitik zu sichern. So hatte sein Sohn Mühe, nach 1708 diese Uhr wieder zurückzudrehen: Die Simultaneen, Druckereien und das jüdische Leben blieben lange bestehen.

Volker Wappmann: Durchbruch zur Toleranz. Die Religionspolitik des Pfalzgrafen Christian August von Sulzbach, Hg. vom Verein für bayerische Kirchengeschichte, Neustadt/Aisch 1998, ISBN 978-3-7686-4141-4.