Selbstbewegliche oder gar selbstdenkende Automaten seit Urzeiten vorstellbar?
Immer wieder finden sich in antiken Sagen oder Legenden Berichte über Statuen oder Apparate, denen „durch den Willen eines Gottes oder den Zauber eines Magiers Leben eingehaucht wurde“. So fasst es Adrienne Mayor in ihrem Aufsatz zum Ausstellungskatalog „Maschinenraum der Götter“ zusammen. Das Frankfurter Liebieghaus, bekannt für seine Skulpturensammlungen, hat sie zum Leben erweckt. Halt! Waren animierte künstliche Wesen in der Antike überhaupt vorstellbar?
Durchaus, da ist sich Mayor sicher – und bringt viele Beispiele: Pygmalion und seine Elfenbeinstatue, der die Götter Leben einhauchten. Oder Pandora, die ein verschlossenes Gefäß öffnen sollte, um die Menschen zu bestrafen. Sie erscheint öfter in antiken Abbildungen nicht als Mensch, sondern mit seltsam starren Gliedmaßen und einem statuenhaften Lächeln: Ihr Auftreten war verlockend, aber sie öfffnet eine „Black Box“ mit unbekanntem Inhalt – und verheerenden Folgen.
Geschaffen hat sie Hephaistos. Der Gott des Feuers und der Metallarbeiten konnte mehr als nur mit dem Vorschlaghammer umgehen: In der griechischen Götterwelt soll er die sagenhaften Pforten des Olymp, die sich von selbst bewegten, und ebenso selbstfahrende Lieferkarren sowie automatisierte „Goldene Mägde“ zur Versorgung der Götterwelt geschaffen haben.
Ferner den bronzenen „Roboter“ Talos, der zur Verteidigung Kretas Felsbrocken schleuderte: Seine Energie bezog er durch eine Säule voller pulsierender Lebenskraft im Inneren seines Körpers, dem Lebenssaft „ichor“. Die Zauberin Medea brachte ihn dazu, einen Bolzen aus seinem Knöchel von Iason entfernen zu lassen, der „ichor“ vor dem Auslaufen schützte: Somit konnte Talos nicht nur seinem Zweck genügen, sondern eine selbstständige Entscheidung treffen, die zu seinem Ende führte: „ichor“ lief aus. Der Automat verhielt sich schon damals nicht immer so wie erwartet, er konnte geradezu manipuliert oder „gehackt“ werden. Auch der Erschaffer hatte keine vollkommene Kontrolle über ihn oder sah diese Fehlentscheidung auch nicht vorher.
Selbst die Menschen waren von Prometheus nach allen Regeln der Kunst geschaffen und geschickt von innen nach außen aufgebaut. Zuerst kam die Gerüststruktur der Knochen, zuletzt erhielten sie ihren Lebensfunken. Dies geschah ähnlich wie die ersten Menschen durch den ägyptischen Gott Chnum auf einer Töpferscheibe geformt waren. War nicht auch Adam nach dem zweiten Schöpfungsbericht aus Erde geformt und erhielt dann seinen Lebensatem eingehaucht?
Faszination der Automaten
Daraus ergibt sich dann die „zeitlose Frage“, so Adrienne Taylor: „Könnten Menschen vielleicht einfach von Göttern geschaffene Automaten sein?“ Als seelenlose Maschinen von fremden Mächten gelenkt – doch wie fanden sie dann zu ihrer Identität, Handlungsfähigkeit und freien Willen, ihrer Kreativität und gemeinsamen Planungen?
Was also unterscheidet Menschen von animierten Statuen, die es durchaus in der antiken Wirklichkeit gab. Die ersten mechanischen Apparate lassen sich bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. zurückverfolgen.
Wind und Wasser, Schwerkraft, oder Druckluft waren durchaus in der Antike als Antriebskräfte bekannt. So ließen sich selbst Tempeltore wie von Götterhand öffnen und schließen, erklärt Vinzenz Brinkmann weiter, der sich mit realen Apparaturen von damals auseinandersetzt.
Und in der Antike war auch bekannt, welche Effekte sich durch die Trägheit des Auges dem Gehirn vorgaukeln ließen: So fanden Archäologen zwei Statuen eines Kleinkindes, das eine Wachtel jagt, mit leichten Variationen im Bewegungsablauf. Auf einem „Wunderrad“ mit weiteren Varianten montiert, das sich mittels Dampfdüsen mechanisch um sich selbst dreht, mit kurzzeitiger Abdeckung zwischen den Figuren versehen, erzeugt es die Illusion einer Bewegung wie im Kino.
War dies noch eine nette Spielerei, so ließen sich die Bewegungen der Gestirne ähnlich nachvollziehbar gestalten. Warum ist aber davon so wenig erhalten? Diese Apparate waren viel fragiler als Marmorstatuen. Und etwa bei der Zerstörung Konstantinopels 1204 ist bezeugt, dass die Kreuzfahrer einen antiken Automaten zerschlugen.
Maschine von Antikythera
Einiges ist noch vorhanden: Oder durch Zufall wieder aufgetaucht wie die Rechenmaschine von Antikythera, die sich in einem versunkenen Schiff vor der gleichnamigen Insel im Jahr 1900 fand. Es muss um 70–60 vor Christus versunken sein, darauf weisen Münzen am Fund hin. Die bronzene Apparatur war durch Korrosion derart in sich verklumpt, dass sich über Generationen hinweg nichts mit ihr anfangen ließ.
Erst Röntgenaufnahmen und später spezielle hochtechnisierte Durchleuchtungsverfahren ließen einen Blick in das Innere zu: Mehrere Zahnradgetriebe wurden sichtbar. Astronomische Inschriften wiesen einen weiteren Weg: Komplexe Getriebeumsetzungen verschiedener Zahnräder kombinieren die Zusammenhänge der Himmelszyklen miteinander. So etwa den Mondzyklus, der erst nach 19 Jahren wieder an gleicher Stelle im Sonnenjahr ist. Dazu ließen sich die zyklische Wiederkehr von Sonnen- und Mondfinsternissen einpassen, die durchaus komplexer geschehen als gedacht.
Und wenn Menschen noch davon ausgehen, dass die Planeten um die Erde und nicht um die Sonne kreisen, dann bewegen sie sich vom irdischen Horizont her keineswegs gleichmäßig, sondern in komplizierten Rhythmen: Da schlagen sie geradezu Salti.
Diese konnte erst kürzlich Tony Freeth mit seinem Team deuten und im Katalog beschreiben. So ist der Apparat mehr als ein Astrolabium, zum Messen von Himmelskörpern, wie seine ersten Erforscher vorschlugen. Doch bei diesem „Computer“, müssen analoge Rechenschieber manuell mit einer Handkurbel gedreht werden, bevor weitere Mechanismen angetrieben werden.
Die Entwicklung astronomischer Gerätschaften und selbst komplexer Automaten führte der arabische Kulturraum bis zur Zeit der Kreuzzüge weiter. Denn dort waren zunächst in weitaus größerem Umfang als in Europa antike Schriften wahrgenommen. Erst in der Renaissance übernahm der Westen wieder den Stab astronomischer und automatischer Entwicklungen. Dann lag ein Hauptaugenmerk darin, durch Maschinen Arbeit effizienter zu gestalten. Die antiken Vorstellungen beeinflussten aber sicherlich die Richtung moderner Entwicklungen.
Ausstellung im Frankfurter Liebieghaus am Museumsufer bis 10. September, geöffnet Di, Mi 12–18 Uhr, Do 10–21 Uhr, Fr–So 10–18 Uhr, reguläre Tickets für 12 Euro, gleichnamiger Katalog, in der Ausstellung oder online 35 Euro, ISBN 978-3-9432-15199, 296 Seiten, mehr: https://www.liebieghaus.de