Abführmittel gegen moralische Verstopfung

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zum Gericht Gottes über Ninive

Als Gott das Tun der Menschen von Ninive sah, wie sie sich bekehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat‘s nicht. Das aber verdross Jona sehr. Und Jona ging zur Stadt hinaus und machte sich eine Hütte; darunter setzte er sich in den Schatten, bis er sähe, was der Stadt widerfahren würde. Gott aber ließ einen Rizinus wachsen; der wuchs über Jona, dass ihm hülfe von seinem Unmut.

Aus Jona 3, 10–4, 6

Die Jona-Geschichte ist großartig. Sie hat was Märchenhaftes und ist putzig – auch humorvoll. Seit Kinderbibeltagen lächelt der mollige Wal mit großen Kulleraugen die Bedrohung für Ninive und Jona weg – und die Gefährlichkeit Gottes von den Bibelseiten. Und: die Geschichte ist abgründig. Sie handelt von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Es geht darum, was aus dem Tun oder Lassen einer Gesellschaft folgt.  

Im Ersten Teil der Bibel ist davon oft die Rede. Doch manche winken ab: „Ach, das Alte Testament. Mei, die Geschichten sind nicht mehr maßgeblich für uns.“ Die große Trennung zwischen Gott und Mensch sei aufgehoben. Gott ist freundlich! Gott ist quasi … alles mögliche, von dem wir gern hätten, dass er es wäre.  

Doch ich überlege, wo ich den Verlust des Respekts oder gar des Schreckens vor Gott zum ersten Mal festgestellt habe, den Verlust der „Gottesfurcht“, die doch – so der Psalm 111 – der Anfang aller Weisheit ist. Ich schaue mir moderne Lieder oder Gebete an und glaube gelegentlich eine Verniedlichung Gottes festzustellen. Wie oder was Gott ist, das bestimme ich! Vor ihm braucht niemand zu zittern, davonzulaufen oder einfach mal den Mund zu halten. Er hat seinen Schrecken verloren, der liebe Gott. Die Sünder, die Halunken – das sind die Anderen. Das ist Ninive.

Als Jona in Ninive das Gericht Gottes ansagt, bekehrt es sich. Der König ruft Bußtage aus und sagt: „Wer weiß: vielleicht lässt Gott es sich gereuen und wendet sich ab von seinem grimmigen Zorn.“ Dieses zögernde: „Wer weiß?“ fehlt mir oft. Wir ersparen uns den Schmerz über ein abgelaufenes Leben. Und ersparen uns, wirklich zu erfahren, was Gnade und Vergebung bedeuten. Was Gott für uns tun will – jenseits von alle dem, was wir selbst zustande bringen. 

Ich weiß, man kann mich falsch verstehen. Deswegen ganz klar: Es ist gut, dass die alten bedrängenden Ängste, die falschen Bedrohungen Gottes verloren gegangen sind. Und ich will sie auch nicht zurück. Gottes Liebe schafft es, dass die Angst vergeht – aber Ehrfurcht bleibt trotzdem. Denn seine Liebe ist nicht parteiisch und rationiert. Das passt dem Propheten nicht. 

Menschen, die ihr Leben im Glauben gestalten wollen, brauchen Humor. Gottes Humor ist wie ein Abführmittel – ist wie Rizinus. Es hilft dabei, die moralische Verstopfung, die heimlich prophetische Selbstgerechtigkeit loszuwerden. Gott vergibt dem größten Sünder – das mag einem passen oder nicht. Jona ärgert sich unendlich drüber. Doch Gottes Liebe kann man nicht verspielen. Sie geht an niemandem vorrüber.

Norbert Roth, gelernter Kaminkehrer, promovierter Pfarrer an der Münchner

St.-Matthäus-Kirche und Mitglied der Landessynode