Unendlich verwoben zur Ehre Gottes

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Details aus dem Buch von Durrow
Details aus dem Buch von Durrow. Foto: Borée

Gebetsbücher im frühmittelalterlichen Irland hielten in dunklen Zeiten Christentum hoch

Scheinbar unendliche Spiralmuster und feinste gemalte Flechtwerke zieren die uralten Pergamente. Während das Abendland vor dem Ansturm der Völkerwanderungen und der damit verbundenen Wirren in die Knie ging, blieben am äußersten Rand Europas uralte Traditionen lebendig und verschmolzen mit dem jungen Christentum zu einer neuen Einheit durch eine unverwechselbare Klosterkultur. 

Die „insulare Buchmalerei“ auf den britischen Inseln schuf besonders feine Initialen und kunstreiche Ornamente: Spiral-, Knoten- und Flechtmuster gelangten in dem Kultruraum zur höchsten Blüte. Natürlich finden sich solche Muster auch auf spätantiken Mosaiken oder orientalischen Kunstwerken. Ja, sie weisen noch länger zurück: Schon Jahrtausende vor den Kelten finden sich in Irland solche Muster. Besonders bekannt sind die Spiralen am Eingang von Newgrange, einer vorzeitlichen Megalithanlage, die 5.000 Jahre alt ist – gut tausend Jahre älter als Stonehenge. Nun standen sie im Dienst christlicher Frömmigkeit und erfuhren in Irland eine besonders andächtige Vollkommenheit. 

Meditation der Ewigkeit

Ihre Formen meditieren über die Unendlichkeit – ähnlich wie Labyrinthe, wo im Unterschied zu Irrgärten ein einziger möglichst verschlungener Weg über viele Wendungen vom Start zum Ziel führt. In vielen Spiralen des „Buchs von Durrow“ (links) etwa treffen sich im Zentrum drei verschiedenfarbige Wirbel – als Symbol der Dreifaltigkeit. 

Oder ein Strang führt ins Zentrum hinein – ein anderer wieder heraus. Gegen den Uhrzeigersinn – also linksdrehend – sollen sie den Übergang vom inneren zum äußeren Selbst darstellen. Rechtsdrehend symbolisieren sie wohl die unendliche Wellenbewegung. 

Die doppelt zentrierte Spirale wiederum gilt als Zeichen der Dualität. Es soll auch für Gleichgewicht und Harmonie stehen. Zu dritt stehen Spiralen für den dreieinigen Gott – ebenso wie das „Triquetra- Symbol“ mit drei geflochtenen Bögen, die sich überlappen. Vierfach ist die Gesamtheit irdischen Lebens wie bei den vier Elementen oder den vier Himmelsrichtungen. Von einem Ring umgeben – eine weitere Idee irischer Christen – wird die Unendlichkeit besonders betont.

Um oder kurz vor 700 entstand das Book of Durrow als ein illustriertes Evangeliar entweder im Kloster Durrow in Irland, wo es sich seit 916 nachweisen lässt, oder im nordenglischen Kloster Lindisfarne oder im schottischen Iona. Es ist fast ganz erhalten und umfasst 248 Seiten. Jedes der vier Evangelien hat drei illustrierte Schmuckseiten: jeweils eine Seite mit Darstellungen des Evangelisten, eine weitere mit illustrierten Initialen und eine „Teppichseite“ mit Spiralen und Flechtknoten, die dort in höchster Vollendung erscheinen. Die prägenden Schmuckfarben erscheinen eher erdig – in Hellrot, Gelb, Grün und Braunschwarz. 

1661 kam es mit dem Book of Kells an das Trinity College in Dublin. Ungleich feinere figürliche Ausgestaltungen und glänzendere Farben finden sich in der jüngeren Handschrift aus Kells. Sie entstand rund hundert Jahre nach dem Buch von Durrow als eines der spätesten und prächtigsten Exemplare der insularen Buchmalerei – und ist seit 2011 Weltdokumentenerbe. 

Wie die Buchillustrationen entstanden

In beiden – und vielen weiteren insularen Buchillustrationen – geschahen die filigranen Muster, ohne sich auf den kostbaren Pergamenten zu vermalen oder unrettbar zu verirren. Allein diese Ausgestaltung erfordert einen scharfen Blick und sichere Hände. Es müssen wohl junge Mönche gewesen sein, die diese Kunstwerke schufen. „Es ist kalt hier“, „Ich bin es leid“, „Ich wünschte, es wäre fertig“, so lauten einige wenig andachtsvolle Randbemerkungen aus Kells. Dennoch arbeiteten sie andächtig und konzentriert.  

Die Herkunft der Farben im Book of Kells ist gut erforscht: Schwarze Tinte entstand aus Galläpfeln, glänzendere Schwarztöne brachte eine Kohle-Pech-Mischung. Weiß entstand aus Gips. Die Farbe Blau ist aus Färberwaid extrahiert. Gemischt mit Weiß ergeben sich so leichtblaue Farben. Die Vermutung, dass Blau durch die Verwendung von Lapislazuli hergestellt wurde, hat sich durch neuere Analysen der Farben als falsch erwiesen. Grün entstand aus Kupfer oder grünem Ton. Für Goldfarben wurde ein Arsen-Schwefel-Mineral verwendet. Gelb entstand aus den Früchten des Kreuzdorns oder Erdpigmenten. Krustenflechte brachte den Purpurton, Krapp weitere Rottöne. 

Dies alles erklärt eine kleine Ausstellung im Trinity College, bevor das Original zu sehen ist. Immer wieder wechseln dort die aufgeschlagenen Seiten – nur mit Glück erscheinen die Schmuckseiten mit ganzseitigen Abbildungen von Christus, Maria mit Kind, den Evangelisten oder prachtvollen Initialien.

Die Entstehung des Book of Kells ist hingegen eher ungeklärt. Sehr wahrscheinlich entstand es um das Jahr 800 im Kloster Iona vor der schottischen Westküste. Während der Wikingereinfälle kam es zur Sicherheit nach Irland. Anno 1006 wurde es jedoch aus der Kells Abbey gestohlen, doch kurz darauf wieder gefunden – jedoch ohne den legendären goldenen Einband. 

Weniger anspruchsvoll waren die für wandernde Missionare gefertigten kleinformatigen sogenannten „Taschenevangeliare“, die wohl in großer Zahl entstanden. Missionare aus Irland und Südengland brachten sie als Gebetsbücher zurück auf das europäische Festland. Irische Wanderprediger und Missionare gründeten im 6. und 7. Jahrhundert neue Klöster – darunter auch Fulda, Würzburg, Regensburg oder Echternach. 

Während in Irland wegen der Überfälle der Wikinger nach 800 die Buchmalerei versiegte, entstanden dort auf dem Kontinent weiter illuminierte Handschriften in irischer Tradition. Sie verschafften diesen Darstellungen der Ewigkeit und des endlosen Verwobenseins ein weiteres Nachleben – bevor diese Überlieferungen selbst ein Ende fanden. 

So kann durch die endlose Natur eines keltischen Knotens ohne Start- oder Endpunkt oder durch die Spiralen und Flechtmuster die Gestalt der Ewigkeit in frommer Andacht erfahrbar werden. Was bedeutet dies für unsere Lebenswege und Glaubenspfade?