Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Chefredakteur Martin Bek-Baier
Bis zum vorletzten Tag ihres Lebens schaute sie gerne im Bayerischen Fernsehen die Sendung „Wir in Bayern.“ Und darin liebte sie das Quiz um Dialektworte „Host mi?“. An diesen Tag war das Wort „Hattl“ gefragt. Ich kannte dieses Wort und seine Bedeutung seit frühester Kindheit. Meine Mutter hatte mir die Geschichten rund um die Hattl aus ihrer Kindheit immer wieder erzählt. „Mutter, weißt du noch was ,Hattl‘ heißt?“, fragte ich die 91-Jährige am Sterbebett. Sie überlegte ein paar Momente und dann erhellte sich ihre Mine: „Das sind die Ziegen!“
Und kurz später erklärte der Sprachwissenschaftler im Fernsehen, „Hattl, das ist in Oberfranken die Ziege.“ Woher das Wort stamme, wisse man nicht, aber so hätten in Oberfranken die Ziegenhirten ihre Ziegen gerufen. Und tatsächlich ist mir ein Bild aus Mutters Erzählungen ganz stark in Erinnerung geblieben: Sie hätte als Kind die kleine Ziegenherde immer auf die Weide treiben müssen. „Und immer wenn ich ,Hattl, Hattl, Hattl‘ gerufen habe, sind sie meckernd angerannt gekommen – fast wie ein Hund – und haben mich begrüßt und sich gefreut.“
Was für Ziegen gilt, gilt auch für Schafe und umgekehrt: „Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben“ (aus Johannes 10). Daran glaubte meine Mutter ihr Leben lang ganz fest.
Ganz wie es auch der Psalm 23 bekennt, glaubte sie sich vom guten Hirten auch in den dunklen Tälern des langen Lebens – von denen sie einige erleben musste – behütet. Sie war dankbar für alle „frischen Wasser“ zu denen sie von ihrem Hirten im Leben geführte wurde, also die schönen und gesegneten Abschnitte, die es ebenfalls zuhauf gab. Und so war es auch bis zuletzt, als sie bettlägerig und pflegebedürftig war. Sie fühlte sich von der liebevollen Pflege der Diakonie und uns Angehörigen behütet. Angst vor dem Sterben hatte sie nicht. Sie glaubte fest daran, dass der gute Hirte, Jesus Christus, sie zu sich rufen würde.
Ich denke, es ist kein Wunder, dass sowohl meiner Mutter als auch mir die Geschichten aus Kindheitstagen rund um die treuen „Hattl“ gefallen haben. Sie entsprechen doch dem Bild aus dem einfachen und festen Glauben an einen guten Hirten und seiner treuen Herde. „Meine Schafe hören meine Stimme … und sie folgen mir.“