Lustvolle Buße?

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Andrea Vaccaro (1604–1670): Erscheinung Maria Magdalenas (mit dem Prior eines Kartäuserklosters). Gian Giacomo Caprotti (Da-Vinci-Schüler 1480–1524): Johannes der Täufers. Fotos: Borée
Andrea Vaccaro (1604–1670): Erscheinung Maria Magdalenas (mit dem Prior eines Kartäuserklosters). Gian Giacomo Caprotti (Da-Vinci-Schüler 1480–1524): Johannes der Täufers. Fotos: Borée

Ausstellung „Verdammte Lust! Kirche. Körper. Kunst.“ des Diözesanmuseums in Freising

Die Büßerin und der Asket: Johannes der Täufer und Maria von Magdala beschäftigten in besonderer Weise die christlichen Vorstellungswelten: Nahmen sie es besonders streng mit dem Weg der Nachfolge? Und können sie uns in der Passionszeit zum Vorbild werden?

Ein besonders bewegendes Bild von Johannes findet sich am Ende der Ausstellung „Verdammte Lust! Kirche. Körper. Kunst.“ im Freisinger Diözesanmuseum (rechts). Sie beschäftigt sich, ausdrücklich unter der Schirmherrschaft von Kardinal Reinhard Marx, mit aufreizenden Darstellungen auch von Heiligen in Kunstwerken bis um das Jahr 1800. Johannes etwa erscheint jugendlich, nicht verhärmt, sondern fast androgyn, verführerisch anstatt asketisch streng. War dies eine Grenzüberschreitung, ihn entgegen allen Konventionen so erotisch dazustellen?

Ebenso hat Maria von Magdala die Fantasie vieler Künstler über die Jahrhunderte hinweg fasziniert. Diese Jüngerin Jesu war schon früh mit der namenlosen fußwaschenden Sünderin bei Lukas (7, 36 ff.) gleichgesetzt. Im unmittelbaren Anschluss (Lk 8, 1–3) ist sie eine Frau, „bei der Jesus sieben böse Geister ausgetrieben hatte“. Oder war sie Jesus nahe? Denn nach Johannes 20 ist sie dem Auferstandenen als erste begegnet.

In apokryphen Evangelien erscheint sie als Weisheitslehrerin, die gegen Petrus und die Jünger auftrat. Das war in der Überlieferung jedoch kaum bekannt. Einflussreicher war die „Legenda Aurea“ als bekanntestes religiöses Volksbuch im Mittelalter. Danach soll Maria mit einem segellosen und navigationsuntauglichen Schiff in Frankreich gestrandet sein – wie Geflüchtete heutzutage.

Die letzten 30 Jahre ihres Lebens habe sie dort als Einsiedlerin ihre sündenbeladene Herkunft gebüßt. In Erinnerung daran ist sie oft mit wallendem offenem Haar dargestellt. Sie lebte in wildester Einöde, ohne Nahrung und Kleidung, aber von Engeln umsorgt und erhoben.

So ließ sich gerade im Barock ihr Körper ohne schlechtes Gewissen darstellen – auch wenn die Künstler nicht nur hier die Grenzen des Darstellbaren ausgelotet haben. Religiöse Wertvorstellungen werden entlarvend hinterfragt – allein schon durch die eindeutig zweideutigen Blicke des Geistlichen auf Maria Magdalena in Vaccaros Bild (links). Schaut er tatsächlich in den geöffneten Himmel? Sind die Gesten des Johannes von Caprotti nicht ambivalent? Wirklich ein Hinweis auf die Umkehr gen Himmel oder eher auf den geöffneten Abgrund? 

Bei Heiligen und antiken Heroen konnte durchaus eine Körperlichkeit gezeigt werden, die sonst nicht darstellbar war. Auch als Büßer und Asketen war ihr Anblick durchaus lustvoll – ja sogar begehrenswert.

Reinheit im Zwiespalt

Wie konnte das vor dem biblischen Hintergrund geschehen? Brachte der Sündenfall Adams und Evas das Begehren in die Welt, das nur zum Zwecke der Zeugung von Nachkommen eingedämmt werden konnte? Oder geschah hier die Entdeckung der „Idee der Moral, der Unterscheidung von Gut und Schlecht“ und ihren Grenzen? Geschieht in der Pubertät nicht beides ineinander verwoben – gleichzeitig?

Schon der Apostel Paulus war stolz darauf, unverheiratet zu sein (1. Kor. 7). Die Ehe war für ihn nur ein Zugeständnis für Schwache, so Christof Breitsameter in seinem Essay im Begleitband zur Freisinger Ausstellung. Dies führte Augustin weiter aus. Auch die Reformatoren übernahmen diese Deutung. Für Martin Luther war die Keuschheit ein seltenes Gnadengeschenk, Ehen besser als dauernde Versuchung. 

Schon die Propheten hatten die innere Reinheit des Herzens und des Tuns betont. Darauf legte auch Jesus wert. Doch in seiner Nachfolge erfuhren sie besondere Quälereien: Durch ihr Leiden waren die Märtyrer Gott besonders nah. Nachdem ihr Blutzeugnis nach der Konstantinischen Wende nicht mehr nötig war, galten die Asketen als vorbildlich, die das Zögern des Reichen Jünglings (Mt 19, 21) vielfach übertrafen. 

Im frühen Mittelalter schlug das Pendel wieder zugunsten der äußeren Reinheit um: Sexualität galt als deren Quelle, so Hubertus Lutterbach ebenfalls zur Freisinger Ausstellung: Beschmutzt gab es keinen Zugang zum Heiligtum und Opferdienst. Die Liebe war den zunächst verheirateten Priestern am Tag vor der Eucharistie verboten – doch war sie bald nicht nur sonntags, sondern täglich zu feiern. Das Reform-Papsttum des 11. Jahrhunderts, deren bedeutendste Vertreter Mönche waren, setzte nun das Zölibat durch.

Bald schon gab es neue Hintertüren: Heiligenbilder erschienen immer sinnlicher. Die Qualen von Märtyrern wie Sebastian, der gar einen eigenen Raum in Freising erhalten hat, werden immer eindrücklicher. 

Dabei geht es nicht darum, sich über andere Zeiten und Vorstellungswelten zu erheben – auch wenn es Missbrauch schon seit Jahrhunderten gab, wie der Essay-Band zur Ausstellung ebenfalls zeigt. 

Buße, Leid und Strafe?

Buße und Umkehr sind besonders ein Thema der Passionszeit. Martin Luther verstand darunter eine Änderung der inneren Haltung durch Gott. Er formuliert zu Beginn der 95 Thesen, das nach Jesu Willen „das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.“ In seiner Bibelübersetzung findet sich dieses Wort, das auf „metanoia“ zurückgeht, mehr als 50 Mal. Es heißt wörtlich um- oder nachdenken. Weder der Verlorene Sohn noch das Verlorene Schaf bei Lukas müssen büßen. Schon Hiob trieb die Frage um, für welche Vergehen sein Leid strafen sollte? Gegen den Rat seiner Freunde wendet er sich gegen einen einfachen Tun- Ergehens-Zusammenhang. 

Umkehr bestimmt auch unser Leben in Zeiten des Klimawandels. Lust an Selbstkasteiung oder Gefahr der Selbstgerechtigkeit können sich gerade bei Menschen, die Verzicht üben, hinterrücks einschleichen. Vor dieser Gefahr warnen uns die Bilder lustvoller Buße.

„Verdammte Lust“, Diözesanmuseum Freising dienstags bis sonntags 10–18 Uhr, bis 29. Mai (empfohlen ab 14 Jahren). Mehr: Tel. 089/21377-4240, online https://www.dimu-freising.de