Der Einzug in Jerusalem: Ende oder Anfang?

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zum Palmsonntag

Als die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem kommen werde, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und schrien: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!“ Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben steht: „Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.“ … Die Pharisäer aber sprachen untereinander: „Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.“

aus Johannes 12, 12–19

Auf welchem Hintergrund treffe ich meine Entscheidungen: Zähne zusammenbeißen und weitermachen, weil ich sonst als Loser dastehe? Mich zudecken mit Arbeit, auf Nachfragen mit „Passt schon!“ antworten? Alt und allein daheim weiterwurschteln, obwohl die Kräfte und das Gedächtnis schwinden? Angst ist ein Ratgeber des „Weiter so!“ und gaukelt vor, dass alles alternativlos ist.

Die Erzählung von Jesus Einzug in Jerusalem offenbart viele Ängste. Die Pharisäer haben Angst vor dem Machtverlust. Wie oft haben sie mit Jesus um „die Wahrheit“ gestritten. Er wirft ihnen vor, zwar das Gesetz zu kennen, seinen Sinn aber nicht wirklich zu verstehen. Die breite Masse findet das gut und jubelt Jesus zu und sie stehen daneben. Die Pharisäer fürchten, dass der eigene Lebensentwurf nichts mehr gilt.

Die Jünger haben Angst, nicht mehr durchzublicken. Es geht doch zum Fest in die große Stadt, die Stimmung aber ist aufgeheizt und könnte jederzeit kippen. Wie wird das alles ausgehen? Die größte Angst hat das Volk. Es hat Angst vorm Sterben, jeder hat Angst vorm Sterben. Und jetzt heißt’s auf einmal, da kann einer Tote auferwecken, darum gehen sie ihm entgegen. Hosianna, Hilf doch, schreien sie. Hilf doch, wir haben Angst nicht mehr zu sein. Nur einer hat keine Angst. Esel sind viel cooler als Pferde. Ein Pferd würde durchdrehen in dieser johlenden Menge, Reiter abwerfen und das Weite suchen. Ein Esel bleibt ruhig. Wir Menschen verwechseln das oft mit Sturheit. Aber so ein Esel nimmt sich einfach die Zeit, die es braucht. Er bleibt stehen und schaut, wägt ab, probiert vorsichtig. Und wenn er entscheidet, dass es geht, dann geht er. Und zwar freiwillig. Alles andere wäre ja dumm!

Auf diesem Esel sitzt die Hauptperson, die nicht spricht, nichts ruft, nicht deutet. Ungeschützt und wackelig reitet er auf diesem jungen Esel nach Jerusalem, kommt nicht hoch zu Roß, um die Stadt einzunehmen wie ein römischer Kaiser. Dieser König sitzt auf einem Esel, der seine Angst vor dem dunklen Tor und der fremden Stadt, den stacheligen Palmzweigen, der johlenden Menge in den Blick genommen und verwandelt hat. 

Jesus hat Angst, davon erzählt die Geschichte im Garten Gethsemane: Angst vor dem Tod und von Gott und den Menschen verlassen zu werden. Aber er hat sich entschieden, dieser Angst nicht zu folgen. Etwas muss ihm Hoffnung gegeben haben. Es kann nicht allein der Gehorsam gegenüber Gottes Willen gewesen sein; es sei denn, man hofft und glaubt, dass dieser Wille gut ist und Gutes will für mich.

Am Beginn der Karwoche stehe ich da, ungeschützt und wackelig. Was ist das für eine Geschichte mit Jesus? Warum dieser grausame Tod? Wohin mit meiner Angst, um mich und meine Lieben? Ich entscheide mich, mitzugehen, mir die Zeit zu nehmen, die ich brauche, zu hören und zu singen, wachet und betet. Und viel Platz zu lassen in meinem Herzen für die Hoffnung, dass ich nicht auf das Ende zulaufe, sondern auf den Anfang. Sandra Zeidler, 

Pfarrerin Christuskirche Steinbühl, Nürnberg