Diskussionen um den Assistierten Suizid – Landeskirche bietet digitalen Denkraum an
Fürth/München. „Ich will so nicht mehr leben!“ Ist das nicht in den allermeisten Fällen eine angemessene Übersetzung, wenn Menschen an ihrem Lebensende um Assistierten Suizid bitten? Das war zunächst der allgemein Grundtenor in der Podiumsdiskussion „Selbstbestimmt sterben“ in Fürth. Daran nahmen der Psychotherapeut, Palliativmediziner und Hausarzt Dr. Richard Sohn, Stephan Butt als Vorstand des Diakonisches Werkes Fürth, Klinik-Pfarrerin Karin Wildt, Dr. Roland Hanke vom Hospizverein Region Fürth sowie Ethik-Professor Dr. Peter Dabrock teil. Es moderierte Dekan Jörg Sichelstiel. Der Saal des Gemeindehauses St. Michael war mit rund 50 Menschen gut gefüllt.
Viele alte Menschen, die ihren Lebensüberdruss ausdrücken, wollen Schmerzen oder die Einsamkeit vermeiden. Sie fühlen sich kaum noch von außen unterstützt oder haben Angst vor der Aufgabe ihrer Autonomie vor einem Umzug in ein Pflegeheim. Es kann sein, dass der Hund gestorben ist, der die Einsamkeit eines alten Herrn durchbrach und dem Alltag durchs Gassigehen Struktur gab. Dieses Beispiel brachte Hausarzt und Palliativmediziner Richard Sohn aus seiner Praxis mit.
Begleitung und Zuhören ist da besonders gefragt. Schmerzen lassen sich oft durch die moderne Palliativmedizin beherrschbar machen. Doch Ethiker Dabrock wies darauf hin, dass es zu wenig gesellschaftliche Anstrengungen gibt, um Lebensverhältnisse, die als unzumutbar empfunden werden, zu verändern. Dies leider gerade auch im Vergleich zur Vermeidung von Unfalltoten im Straßenverkehr.
Seit Ende 2015 war eine geschäftsmäßige Beihilfe – bis hin zu Medizinern – zum Suizid schwerstkranker Menschen verboten. Schon damals war diese Regelung in der Bevölkerung „wahrscheinlich von einer Mehrheit nicht gewollt“ gewesen, so Dabrock. Es wurde als zu „paternalistisch“ empfunden und mit allgemeinem Unbehagen aufgenommen. Außerdem sei das gleichzeitige Versprechen, Menschen am Lebensende angemessen und flächendeckend zu begleiten, nur unzureichend eingelöst worden.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun bekanntlich vor drei Jahren, Ende Februar 2020, dieses Verbot aufgehoben und das Recht auf Selbstbestimmung in den Mittelpunkt gerückt. Es urteilte, dass die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, auch das Recht bedeute, bei Dritten Hilfe zu suchen, erläuterte Sichelstiel den Hintergrund des Gesprächs.
Corona verschiebt Lösung
Doch dann kam Corona – und damit einmal kein neues Gesetz zu dem Assistierten Suizid. Dafür seit einem Jahr drei Gesetzesentwürfe, wie mehrfach berichtet. Ein Vorschlag will den Assistierten Suizid auch weiterhin unter Strafe stellen – und nur in Ausnahmefällen in der „geschäftsmäßigen“ Form erlauben. Gemeinsam ist den Entwürfen, dass dem Suizid mindestens eine Beratung vorangehen soll – besser mehrere in unterschiedlich gedachten Zeitabständen. Sie sollen abklären, dass keine psychische Beeinträchtigung wie eine Depression oder Psychose vorliegt, die auch einen Sterbewunsch nach sich ziehen kann. Die zwei nicht strafbewehrten Entwürfe haben sich hier kürzlich zusammengeschlossen.
Bis es zu einem neuen Gesetz kommt, ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes die faktische Rechtslage zur Begleitung eines solchen Suizids am Lebensende „eine der liberalsten in Europa“, so Dabrock. Jedoch hat es auch keinen „Dammbruch“ gegeben – im Gegenteil: Die Zahl an Suiziden auch alter Menschen sei zurück gegangen. Richard Sohn wünschte sich aber mehr Rechtssicherheit dabei.
Er berichtete: Als Palliativmediziner hat er eine Dame begleitet, die sterben wollte. In der Endphase wusste er auch den ungefähren Zeitpunkt, zu dem dieser Wunsch ausgeführt werden sollte, so dass er sich von ihr verabschieden konnte. Später hat er auch die Leichenschau gemacht. Den Assistierten Suizid ausgeführt habe aber eine Kollegin, die der Sterbewilligen eine entsprechende Infusion gelegt habe. Die Dame selbst habe dann den Anschluss geöffnet.
Assistierter Suizid heißt, einem Menschen, der mit freiem Willen und langdauernd seinen Sterbewunsch geäußert hat, dabei geholfen wird: Etwa durch die Besorgung oder Bereitstellung eines tödlichen Medikaments. Einnehmen muss der oder die Betroffene es aber selbst wie oben beschrieben, sonst wäre es eine verbotene aktive Sterbehilfe.
Abzugrenzen ist der Assistierte Suizid auf der anderen Seite von passiver und indirekter Sterbehilfe. Darunter versteht man den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen oder die Gabe von schmerzstillenden Medikamenten, die aber auch ein früheres Ableben zur Folge haben können. Dieser Form der Leidenslinderung muss der oder die Betroffene selbst vorher (unter Umständen auch in einer Patientenverfügung) zugestimmt haben.
Für Pfarrerin Karin Wildt ist es wichtig, Menschen am Lebensende nachhaltig zu begleiten. „Das heißt, dass ich nicht alles richtig finde“, was sie wollen. Eine Grenzüberschreitung ist es aber für sie, Sterbewilligen Medikamente zu besorgen.
Eine Begleitung von Menschen, die keine Zukunft mehr sehen, ist auch Stephan Butt als Vorstand des Diakonisches Werkes Fürth und Roland Hanke vom Hospizverein Region Fürth wichtig. Dazu gehöre aber auch eine Unterstützung der Pflegekräfte und der Angehörigen, denn ein Wunsch nach Suizid kann ganze Familien nachhaltig zerstören. In begleiteter Form mit einem geordneten Abschiednehmen kann er aber weniger verheerend wirken.
Mit der Webseite „Denkraum: Assistierter Suizid“ hat die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB) eine umfassende Orientierungshilfe geschaffen. Sie bietet mehr Informationen zu juristischen, ethischen und seelsorgerlichen Fragen aus evangelischer Perspektive um den Assistierten Suizid.
Ein wichtiges Argument in der Debatte ist die vermutete Gefahr, Kranken und Sterbenden würde vermittelt, sie seien für die Umgebung eine Last – etwa durch den dauerhaften Mangel an Pflegekräften in den entsprechenden Einrichtungen. Diese Entwicklung muss verändert werden. Auch hier ist mehr Begleitung wichtig.
Mehr unter: https://www.denkraum-assistierter-suizid.de/